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Fluegelschlag

Titel: Fluegelschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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vernehmlich und lehnte sich kurz an die gläserne Eingangstür eines gepflegt wirkenden Hauses. Nachdem er zu Atem gekommen war, öffnete er sie und steuerte geradewegs auf den Aufzug zu.
    Mein Glückstag! , gratulierte sich Arian und verzichtete darauf, das Gebäude zu betreten. Stattdessen breitete er die Flügel aus und versuchte sich an seinem ersten Flug nach dem Sturz. Es tat so gut, sich endlich wieder als ein Ganzes zu fühlen, dass er beinahe laut vor Glück gelacht hätte.
    Die menschliche Erscheinung eines Engels unterschied sich auf den ersten Blick nicht von dessen wahrer Gestalt. Lediglich seine Flügel blieben unsichtbar. Doch ohne die Schwingen fühlte sich Arian so unvollkommen wie vor seiner Initiation. Tatsächlich gab es darüber hinaus keine konkrete Erinnerung an die Zeit, bevor er dem Engelmacher vorgestellt worden war, doch das betrübte ihn nicht. Wichtig war das Hier und Jetzt.
    Seine Flügel trug er mit Stolz, als wären sie leicht wie eine einzelne Feder. Doch dieser Eindruck täuschte. Kräftige Rückenmuskeln sorgten dafür, dass jeder Flügelschlag ihn vorantrug, lautlos für das menschliche Ohr wie eine Eule auf Beutefang und ebenso präzise wie jeder andere Raubvogel. Anfangs öffnete er seine Schwingen zögerlich, fast so, als überprüfe er den Sitz jeder einzelnen Feder. Dann erhob er sich in die Luft. Es mochte Zufall sein, dass in diesem Augenblick die Sonne hinter einer Wolke hervorkam. Selbst wenn einem Menschen nur der vergleichsweise bescheidene Anblick tanzenden Lichts vergönnt war - dieses Bild schneeweißer Eleganz hätte ihn beeindruckt. Arian hoffte allerdings, dass seine Kräfte so weit wiederhergestellt waren, dass sie ihn vor den Augen eines menschlichen Beobachters
verbargen. Es gab acht Balkone mit großen Fenstern, und zum Glück regte sich nur hinter einem davon etwas. Das musste Johns Wohnung sein. Gleich darauf betrat er tatsächlich den Raum.
    Arian schwebte lautlos vor dem Haus und sah hinein. John, davon war er überzeugt, würde ihn selbst dann nicht bemerken, stünde er direkt hinter ihm. Für die Welt nicht sichtbar zu sein, gab Arian besonders nach seinem Sturz ein Selbstvertrauen, das er bisher nicht einmal vermisst hatte.
    John hatte das Jackett ausgezogen und kickte seine Schuhe quer durchs Zimmer, während er mit ungeduldigen Bewegungen an seiner Krawatte zog. Nachdem er sich ihrer entledigt hatte, ließ er sich rücklings auf einen Sessel fallen und trank einen großen Schluck aus der Cognacflasche in seiner Rechten. Die Möblierung war spärlich, an den Wänden und auf der Auslegware zeigten dunkle Ränder, dass hier vor nicht allzu langer Zeit noch andere Möbel gestanden hatten. Auf dem Sofa lag zusammengerollt Bettzeug, und Arian fragte sich, ob John einen Gast beherbergte oder selbst dort übernachtet hatte. Das Schlafzimmer konnte er von hier aus nicht sehen. John griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Er hielt das Telefon eine Weile ans Ohr und klappte es dann missmutig zusammen. Offenbar hatte er niemanden erreicht. Danach blickte er mit zusammengekniffenen Augen zum Fenster, und Arian verspürte einen erstaunlichen Impuls, sich zu verbergen. Du bist unsichtbar! , tadelte er sich.
    John hustete und nahm einem weiteren Schluck aus der Flasche. Dann schaltete er den Fernseher an, legte die Füße auf eine niedrige Kiste, die ihm als Tisch diente, und sah mit
leerem Blick auf die bunten Bilder, die über den Bildschirm zuckten.
    Arian wartete, doch ihm wurde bald klar, dass es hier nichts mehr zu sehen gab. Sofern ihn seine wiedererwachenden Sinne nicht täuschten, hielten sich in dem Haus zwar weitere Bewohner auf, doch niemand besaß ein auffälliges Profil. Die einzige Spur eines Schutzengels, die er entdecken konnte, führte von einem der angrenzenden Balkone auf das Dach. Dieser Besuch hatte nicht John gegolten. Erneut meinte Arian eine beunruhigende Leere zu spüren, die von dem Mann ausging. Doch angesichts des misslungenen Diebstahls und der Tatsache, dass er das Geld dringend zu brauchen schien - der Zustand der Wohnung sprach Bände -, war dies keine Überraschung. Mit einem gemurmelten: »Wir sehen uns wieder!«, verließ Arian seinen Beobachtungsposten und landete wenig später unbemerkt auf den Treppenstufen der Tierpraxis. Er war erschöpft, hatte zu früh das Haus verlassen und womöglich damit sogar dessen Bewohner in Gefahr gebracht. Sollte ein Dämon seine Gegenwart bemerkt haben, waren Menschen in seiner Nähe nicht

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