Fluegelschlag
hatte Iris sie berührt, verschwamm die Umgebung vor Junas Augen, und im Nu befand sie sich auf einem Rasenstück, vor ihr die Ruine, die unschwer als Johnstone Castle zu erkennen war.
Sie waren zurück in der Realität. Aber immer noch in einer Welt, die sich von der der meisten Menschen deutlich unterscheidet , dachte sie und blickte sich ängstlich um, als erwarte sie jeden Augenblick, den nächsten Angreifer zu sehen.
»Der Dämon ist längst verschwunden!« Iris stand neben ihr, nun wieder in ihrer menschlichen Form und zum Glück
auch unbewaffnet. Sie ließ sich ebenfalls ins Gras sinken, um sich erschöpft an die alte Mauer zu lehnen.
»Du meinst, er kämpft gegen Arian?«
Iris gab einen Laut von sich, den man unmöglich für ein Lachen halten konnte. Dann hob sie die Hand und bedeutete ihr zu schweigen.
Die Zeit rann dahin, und Junas Sorge wuchs mit jedem Körnchen, das in der Sanduhr ihres Lebens hinabfiel. Der laue Sommerwind, das Zwitschern der Vögel, alles gaukelte einen Frieden vor, den sie nicht empfand. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie ergriff ihre Freundin an beiden Schultern und schüttelte sie. »Sag mir, was dort vorgeht!«
Sanft befreite sich Iris aus ihrem Griff. »Ihr habt weit größere Probleme, als ich gedacht habe. Sieht so aus, als seien die Gerechten hinter euch her.« Sie blickte Juna durchdringend an. »Ich vermute, Arian hat es dir nicht gesagt?«
»Was soll er …«
»Sie meint, dass ich einer der Verdammten bin.« Arian war aus dem Nichts erschienen und streckte die Hand aus, um Juna aufzuhelfen. Voller Entsetzen starrte sie auf seine blutverschmierten Finger, so dass er schließlich den Arm sinken ließ und einen Schritt zurücktrat.
Es dauerte einige Sekunden, bis Juna begriff, was der Ausdruck von Schmerz, den sie in seinen Augen las, bedeutete. Rasch sprang sie auf. »Was redest du da?« Sie warf Iris einen fragenden Blick zu, doch ihr Schutzengel schüttelte nur den Kopf. »Arian! Was hat der Dämon mit dir gemacht?«
Er wandte sich ab und sah in die Ferne. Seine Stimme klang flach, von dem warmen Timbre, das ihren Puls regelmäßig
beschleunigte, war nichts zu hören, als er leise sagte: » Ich bin der Dämon. Wenn der Himmel mich bisher nicht verstoßen hat, dann wird er es am heutigen Tag mit Sicherheit tun. Ich bin ein gefallener Engel, Juna.«
»Ist es …« Sie suchte nach Worten.
Da sahen die Gottessöhne, wie schön die Töchter der Menschen waren, und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten.
Sie wusste, wie die Geschichte ausgegangen war. »Ist es meine Schuld?«
Neugierig blickte Iris auf, und es war ihr anzusehen, dass sie ahnte, was zwischen Arian und Juna vorgegangen war. Schließlich sagte sie in die Stille hinein: »Natürlich nicht.«
»Warum glaubst du das?« Junas Stimme zitterte.
»Weil er Gefühle hat, Schätzchen.« Sie stemmte die Fäuste in die Taille und blinzelte wütend eine Träne fort. »Engel haben kein Herz. Wir dürfen nichts fühlen, wenn wir unsere Arbeit tun.«
»Aber du …«
»Erwischt!« Wider Erwarten klang Iris amüsiert.
Und als Juna Arian ansah, hätte sie trotz der verwirrenden Situation beinahe laut gelacht, denn Iris’ erstaunliches Eingeständnis schien ihn vollkommen aus der Bahn geworfen zu haben. Sie riss sich zusammen und erkundigte sich ruhig: »Und wo liegt das Problem? Ihr seid doch nicht böse.« Sie sah von einem zum anderen und fügte mit festerer Stimme hinzu: »Ich wüsste es, wenn es so wäre. Ganz bestimmt wüsste ich das.«
Beide schwiegen.
Schließlich sprach Arian, und sein milder Ton gefiel ihr ganz und gar nicht. »Die Welt kann man nicht nur in Gut oder Böse aufteilen. Ihr Menschen habt das längst erkannt.«
»Das erzähl mal am Sonntag in meiner Kirche!«, murmelte Juna.
»Glaubst du, sie würden mich dort sprechen lassen?«
Juna musste unwillkürlich grinsen, als sie sich vorstellte, wie der Pfarrer reagieren würde, wenn sie Arian vorstellte: … und das ist mein Freund. Er ist übrigens ein gefallener Engel. Sie riss sich zusammen. »Okay, also kein Schwarz oder Weiß. Und dieser Typ hat das anders gesehen. Stimmt’s?«
»Einfach ausgedrückt: Ja. Michael hat vor langer Zeit beschlossen, die alte Ordnung müsse um jeden Preis erhalten werden. Nicht wenige sind ihm auf diesem Weg gefolgt. Sie nennen sich Die Gerechten .«
»Wohl eher die Selbstgerechten .« Juna gab einen abfällig klingenden Laut von sich. Von dieser Sorte gab es auch unter den Menschen viel zu
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