Fluegelschlag
war und Nácar das Interesse an ihm verlieren würde, sobald er erst einmal seine Schwester besaß.
Offenbar hatte diese traurige menschliche Existenz immerhin ausreichend Verstand, um zu wissen, dass sein Schicksal ganz an das Wohlwollen des Dämons, seines Herrn und Gebieters, geknüpft war. In Nácars Dienste zwang ihn längst nicht mehr nur Geld, das er mit dessen Hilfe immer noch täglich verspielte. Ob John wollte oder nicht, mit dem nächsten Gefallen würde er sich noch fester an ihn binden. Doch zuvor gab es noch etwas Wichtigeres zu tun.
Nácar drehte sich um und verließ seinen Beobachtungsposten.
»Arian, dieses Feuer …« Juna wusste nicht so recht, wie sie ihr Geständnis beginnen sollte. Verlegen drehte sie sich zur Seite und fuhr fort, den Medikamentenschrank zu überprüfen, obwohl der Zettel, auf dem Iris die Nachbestellungen notiert hatte, gut sichtbar auf ihrem Schreibtisch lag.
In jungen Jahren hatte sie eine recht umfassende religiöse Erziehung genossen, doch ihr Interesse war nie besonders groß gewesen und ihr Wissen dementsprechend recht spärlich. Nichtsdestotrotz glaubte sie die Situation der beiden Engel immerhin halbwegs verstanden zu haben. In einer Welt, in der es nur zwei Zustände gab, nämlich Gut oder
Böse , konnten Geschöpfe, die beide Seiten in sich vereinten, nicht erwünscht sein. Aber es gab sie nun einmal, und Iris’ Existenz bewies, dass sie sich irgendwo in diesem Weltgefüge eingerichtet hatten. Arian dagegen, das konnte sie deutlich spüren, hatte seinen Platz noch nicht gefunden. Zu frisch war die Verletzung, die seine Verbannung aus Elysium hinterlassen hatte. Auch wenn die äußerliche Wunde verheilt sein mochte, spurlos war sie nicht verschwunden. Er war ein Gezeichneter und würde sich damit arrangieren müssen. Was bedeutete dies nun für sie selbst? Einem Engel, dem reinsten aller Wesen, hätte sie ihr Geheimnis niemals anvertraut. Doch jemand wie Arian würde sie verstehen.
Iris jedenfalls, der sie alles gebeichtet hatte, war erstaunlich verständnisvoll gewesen und hatte ihr geraten, sich Arian ebenfalls anzuvertrauen.
Bevor Iris sie beide nach ihrer Rückkehr in die Praxis allein gelassen hatte, hatte sie ihr aufmunternd zugezwinkert und damit sicher gemeint, sie solle nicht länger zögern. Und natürlich hatte sie Recht. Wenn sie Arian nicht verlieren wollte, musste Juna aufrichtig mit ihm sein. Also begann sie noch einmal: »Was das Feuer betrifft, das gelegentlich in unserer Nähe ausbricht …«
Doch er ließ sie nicht ausreden. »Es ist meine Schuld. Das Engelsfeuer gehört zu den Dingen, die uns bleiben, auch wenn wir in Ungnade fallen.«
»Du meinst, Engelsfeuer und Dämonenfeuer stammen aus der gleichen Quelle?«
»Aus der gleichen Quelle?« Arian sah sie verdutzt an. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber wenn du es so formulieren willst: Ja, das tun sie wohl.«
Vor Aufregung vergaß Juna, dass sie eigentlich ein Geständnis ablegen wollte. »Aber dann ist es … wie soll ich sagen? Es ist neutral!«
Zögerlich antwortete Arian. »Mag sein. Aber das macht es nicht weniger tödlich.«
»Aber verstehst du denn nicht? Es ist wie ein Messer. Eine Waffe, keine Frage. Aber wer immer es führt, ist ganz allein verantwortlich dafür, ob er Schaden anrichtet oder etwas Nützliches damit tut. Er verfügt über einen freien Willen. Und wenn ein Dämon mit dem Feuer tötet, dann ist er böse. Wenn ein anderer es aber benutzt, um jemanden zu schützen, dann kann es doch nicht verwerflich sein, oder?« Ein Funken Hoffnung begann in ihr zu glimmen. Der Gerechte hatte sie zwar als dämonische Helferin bezeichnet, doch vielleicht stimmte das gar nicht. Vielleicht besaß sie ihre Kräfte aus einem bestimmten Grund. »Nur aus welchem?«, fragte sie sich leise. Da in diesem Augenblick ihr Handy vibrierte, bemerkte sie Arians verwirrten Gesichtsausdruck nicht.
Ruf mich an. J. Eine Nachricht von John. Sie drückte sie weg, dabei fiel ihr Blick auf die Uhr im Display. »So spät! Ich hätte längst die Praxis öffnen müssen.«
Arian hörte kaum zu und fragte sich stattdessen, wo Iris blieb. Er hätte freie Hand gebraucht, um der Spur des Dämons folgen zu können, dessen Anwesenheit er in der Ruine so deutlich gespürt hatte, als hätte dieser gut sichtbar neben ihm gestanden. Es war der gleiche gefallene Engel gewesen, der ihm schon in der alten Lagerhalle entwischt war. Doch in Junas Gegenwart hatte Arian kein Risiko eingehen wollen.
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