Flüsterherz
Eiern, frisch gepresstem Orangensaft und sogar einem Teller arme Ritter mit braunem Zucker und Zimt erwartete. Ma hatte ihr schönes Geschirr von Oma mit dem Goldrand aufgedeckt, das nicht in die Spülmaschine durfte.
Ich wurde umarmt und geküsst und zum Geschenketisch geführt, auf dem lauter bunte Päckchen lagen.
»Aber erst wollen wir mit dir reden«, sagte Ma. »Nun da du fünfzehn bist, Anna …«
»Später, sonst werden die Croissants kalt«, sagte ich schnell. Ich hatte absolut keine Lust auf irgendwelche Predigten zumThema »Nun da du fünfzehn bist«, auf neue Pflichten und Vertrauensfragen und was Pa und Ma sich sonst noch ausgedacht haben mochten. Ich wollte nur ein warmes Croissant und frische Bettwäsche – alles andere war mir vollkommen egal.
Doch Pa ließ sich nicht beirren. Er führte ein regelrechtes Kabarettstückchen auf, mit Rückblicken, wie ich als Kind mit sechs, acht, zehn … gewesen war, und nun, ja, nun sei ich schon fünfzehn (wow!) und bekäme Taschengelderhöhung (yes!) und dürfe länger ausgehen (jippie!), allerdings unter der Voraussetzung, dass ich verantwortungsbewusst mit den neuen Freiheiten umginge.
Pa und Ma haben eine ganz eigene Sprache für alles, was ihnen zu derb ist. Spießer-Blabla nenne ich das. Und »verantwortungsbewusst« heißt im Klartext: »Komm bloß nicht sturzbesoffen nach Hause (jedenfalls nicht so, dass wir es mitkriegen)«.
Ich bekam mehrere CDs, einen großzügigen Büchergutschein und neue Saiten für meine Geige (sodass sich bei mir gleich wieder das schlechte Gewissen regte). Und als Krönung ein supertolles neues iPhone mit Internet und einem Zweijahresvertrag – ich war völlig aus dem Häuschen.
Ich verspeiste ein halbes Croissant und trank ein Glas Orangensaft, danach war ich fix und fertig.
Pa bezog mein Bett neu, und dann dämmerte ich den ganzen Vormittag vor mich hin, ohne zu schwitzen und zu träumen. Ab und zu wurde ich wach, weil mein Handy vibrierte.
Ich freute mich, vor allem über Tibbys SMS. Vielleicht wollte sie mein altes Handy haben. Ihres war quasi noch aus der Steinzeit und so unhandlich wie ein Kühlschrank.
2
Einige Tage später konnte ich wieder zur Schule.
Viel verpasst hatte ich nicht, denn der fiese Fred, Bonamour und Wilkes lieferten sich nun einen neuen Wettkampf: möglichst wenig neuer Stoff pro Stunde. Sie wiederholten alles endlos wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Vielleicht hatte JP ihnen ja das Gehalt gekürzt.
Ich bereute bitter, dass ich nicht noch ein paar Tage zu Hause geblieben war, zumal ich nach der dritten Stunde tierische Kopfschmerzen bekam.
Die ersten zehn Minuten in Latein überstand ich, indem ich schon mal das nächste Kapitel durchblätterte. Dann schlug ich Pas Hieroglyphenbuch auf, das ich heimlich eingesteckt hatte. Ich hatte mir vorgenommen, mir die Zeichen selbst beizubringen. Leider war es gar nicht so einfach, wie ich gehofft hatte.
»Anna, wiederholst du bitte, was ich eben gesagt habe?«, sagte der fiese Fred plötzlich.
Hat er Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, oder was?, dachte ich. Obwohl ich das mit Sicherheit nicht laut gesagt hatte, kicherten die anderen verhalten. Tibby unterdrückte sogar einen Lachanfall.
»Und wiederhol bitte auch gleich mit, was du gerade vor dich hin gemurmelt hast.«
Warum ließ der Mann mich nicht in Ruhe? Gut, vor mir lagen Blätter voller Hieroglyphen, aber schließlich hatte ich seinen Unterricht nicht gestört.
Ich schob die Blätter halbherzig unter das Lateinbuch. Hoffentlich war er nun zufrieden.
Fehlanzeige.
Fred räusperte sich ungeduldig. »Was ist, Anna?«
»Ja-ha …« Was hatte er gleich wieder gewollt? Ach ja, ich sollte wiederholen, was er gesagt hatte.
»Sie sagten, die gemischte Deklination im Lateinischen sei dadurch entstanden, dass sich Wörter der i-Deklination der konsonantischen Deklination angenähert haben«, leierte ich herunter. »Und ich hab irgendwas über das Kurzzeitgedächtnis gesagt, aber ich weiß nicht mehr genau, was.«
Wieder Gekicher.
So! Damit hatte Fred garantiert nicht gerechnet. Er glaubte bestimmt, ich würde nicht aufpassen. Aber für seine grammatischen Endlosschleifen brauchte es nur ein winziges bisschen Aufmerksamkeit. Ansonsten konnte man sich sehr gut anderweitig beschäftigen. Multitasking nennt man das.
»Darf ich dich bitten, deinen Privatkram vom Tisch verschwinden zu lassen? Du hast jetzt Latein und konzentrierst dich gefälligst darauf«, sagte er bissig. »
Non scholae sed
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