Flüstern in der Nacht
Gefühl für Farben und Linien.« »Sie sind wirklich gut«, bestätigte Frank. »Ich weiß«, meinte Tucker und lachte. »Haben Sie etwas über Valdez erfahren?« wollte Tony wissen. »Ja, aber er nennt sich Ortiz, wie ich schon sagte. Jimmy Ortiz. Nach dem, was wir bisher in Erfahrung bringen konnten, dealt er hauptsächlich mit PCP. Ich weiß, daß ich im Glashaus sitze und nicht mit Steinen werfen sollte ... aber für mich ist ein PCP-Dealer so ziemlich das Widerlichste, was es im Drogenhandel gibt. Ich meine, PCP ist Gift. Es läßt die Gehirnzellen schneller als irgend ein anderer Stoff verfaulen. Wir verfügen noch nicht über genügend Informationen, um sie an die Polizei weiterzugeben, aber wir arbeiten daran.« »Adresse?« fragte Tony. Tucker reichte ihm ein Stück Papier, auf das er in sauberer Schrift die Adresse notierte. »Ein elegantes Apartmentgebäude, südlich des Sunset Boulevard, ein paar Straßen entfernt vom La Cienega.«
»Wir werden es schon finden«, meinte Tony. »Nach dem zu schließen, was Sie mir über ihn erzählt haben«, erklärte Tucker, »und nach dem, was wir selbst über ihn in Erfahrung bringen konnten, würde ich sagen, dieser Bursche schafft es nicht, sich zu ändern und sich selbst zu rehabilitieren. Wahrscheinlich ist es besser, wenn man ihn auf lange Sicht aus dem Verkehr zieht.«
»Das werden wir ganz sicher versuchen«, betonte Frank. Tucker begleitete sie zur Haustür und nach draußen, von wo aus sich ihnen ein herrlicher Ausblick auf Los Angeles bot, das in seinem Becken lag. »Ist das nicht großartig?« fragte Tucker. »Einzigartig?« »Herrlich«, antwortete Tony.
»So eine wunderschöne große Stadt«, meinte Tucker stolz und mit einer Liebe, als hätte er die gigantische Metropole selbst erschaffen. »Wissen Sie, ich habe gehört, daß die Bürokraten in Washington eine Studie für ein öffentliches Verkehrssystem in Los Angeles entworfen haben. Die waren fest entschlossen, uns irgendein System aufzuzwingen, haben aber dann zu ihrer Verblüffung feststellen müssen, daß es wenigstens einhundert Milliarden Dollar kosten würde, ein Eisenbahnnetz aufzubauen, das auch nur zehn oder zwölf Prozent des täglichen Verkehrsflusses aufnehme könnte. Die begreifen immer noch nicht, wie riesengroß der Westen ist.« Er strahlte jetzt übers ganze Gesicht, und seine mächtigen Pranken gestikulierten wild. »Die begreifen nicht, was L.A. bedeutet. L.A. ist Raum – Raum, Beweglichkeit und Freiheit. Das hier ist eine Stadt mit Freiräumen, physisch ebenso wie emotional. Psychologische Freiräume gibt es hier. In L.A. hat man die Chance, so ziemlich alles zu machen, was man möchte. Hier kann man seine Zukunft selbst in die Hand nehmen, sie formen. Das ist einfach phantastisch. Ich liebe das. Herrgott, wie ich diese Stadt liebe!«
Tony war von Tuckers tiefen Gefühlen derart beeindruckt, daß er seinen eigenen geheimen Wunschtraum preisgab. »Ich wollte selbst immer Künstler sein, wollte mir mit Kunst meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich male.« »Warum sind Sie dann Polizist?« fragte Tucker. »Weil ich auf regelmäßiges Gehalt Wert lege.« »Scheiß auf regelmäßiges Gehalt.« »Ich bin ein guter Polizist. Mir gefällt die Arbeit.« »Sind Sie ein guter Künstler?« »Ja, recht gut, denke ich.«
»Dann wagen Sie den Absprang«, beharrte Tucker. »Mann, Sie leben hier am Rand der westlichen Welt, am Rand der Chancen. Springen Sie. Springen Sie einfach. Der Nervenkitzel ist herrlich, und bis ganz unten ist der Weg so verdammt weit, daß Sie nie auf etwas Hartes oder Spitzes prallen werden. Tatsächlich werden Sie wahrscheinlich genau dasselbe finden wie ich: Man fühlt gar keinen Absturz; man hat eher das Empfinden, nach oben zu fallen!«
Tony und Frank gingen an der Ziegelmauer entlang bis zur Einfahrt, vorbei an einer Hecke mit dichten, saftigen Blättern. Ihr Wagen stand im Schatten einer mächtigen Dattelpalme geparkt.
Als Tony die Tür zur Beifahrerseite öffnete, rief Tucker ihnen nach: »Springen Sie doch! Springen Sie einfach und fliegen Sie!«
»Ein toller Bursche«, meinte Frank, als er sich in den Verkehrsstrom einreihte.
»Kann man sagen«, erwiderte Tony und dachte darüber nach, wie einem wohl zumute wäre, wenn man fliegen würde. Sie fuhren zu der Adresse, die Tucker ihnen gegeben hatte, und Frank redete ein wenig über den erstaunlichen Neger, den sie gerade kennengelernt hatten, und dann wieder unablässig über Janet Yamada. Tony, der immer noch
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