Flüstern in der Nacht
Vorurteile gehörten zu diesen Vorstellungen. Natürlich gab es in Los Angeles auch sehr viel Scheinheiligkeit; aber während eine weiße Familie mit Landbesitz in Georgia vielleicht sechs oder acht Generationen brauchte, um ihre Vorurteile gegenüber Schwarzen zu überwinden, dauerte dieselbe Metamorphose in einer südkalifornischen Familie vielleicht eine Generation lang. Einer der schwarzen Geschäftsleute in der Fernsehserie drückte das so aus: ›Die Chicanos sind jetzt eine ganze Weile die Nigger von L.A. gewesen.‹ Aber auch hier hatte bereits der Wandel eingesetzt. Der Respekt für die hispanische Kultur schien bereits im Wachsen begriffen zu sein, und die braunhäutigen Menschen rafften sich ihrerseits auf, ihre eigenen Erfolgsstorys zu schreiben. Einige der Leute schrieben diese geistige Beweglichkeit den gesellschaftlichen Strukturen und Südkaliforniens geologischen Strukturen zu. Man lebte auf einer der aktivsten Falten der Welt, wo die Erde jederzeit unter einem Beben und sich ohne Warnung verändern konnte, warum führte das zu einem Bewußtsein gegenüber der Vergänglichkeit und damit auch zu einem unbewußten Einfluß auf die Einstellung der Menschen gegenüber weniger katastrophalen Veränderungen? Einige jener schwarzen Millionäre demonstrierten das, und Tony neigte dazu, es ihnen abzunehmen. »In dem Programm interviewte man damals etwa ein Dutzend reicher Schwarzer«, sagte Eugene Tucker. »Eine Menge von den Typen im Knast machte sich lustig darüber, sprachen von Onkel Toms. Aber ich fing an, nachzudenken. Diese Leute hatten es in einer Welt der Weißen geschafft, warum also nicht auch ich? Ich war genauso intelligent und schlau wie sie, vielleicht sogar etwas schlauer als der eine oder andere. Für mich ergab sich hier ein völlig neues Bild des Schwarzen, eine völlig neue Idee, wie eine Lampe, die plötzlich in meinem Kopf angeknipst wurde. Los Angeles war mein Zuhause. Wenn diese Stadt wirklich eine bessere Chance bieten könnte, warum hatte ich sie dann nicht genutzt? Sicherlich, manche dieser Leute hatten sich vielleicht wirklich zu Onkel Tom erniedrigen müssen, um den Weg nach oben zu schaffen. Aber hatte man es dann geschafft, läge erst die erste Million auf der Bank, dann würde einem keiner mehr etwas zu sagen haben.« Er grinste. »Also beschloß ich, reich zu werden.« »Einfach so«, sagte Frank beeindruckt. »Einfach so.«
»Die Macht des positiven Denkens.« »Des realistischen Denkens«, verbesserte ihn Tucker. »Und warum ausgerechnet Mode?« fragte Tony. »Ich habe ein paar Eignungstests abgelegt, und die ergaben, daß ich mit künstlerischer Arbeit vorankommen würde. Also versuchte ich mir klarzuwerden, was ich am liebsten machen wollte. Nun hat es mir immer schon Freude bereitet, meinen Freundinnen Kleider auszuwählen, Ich gehe gern mit ihnen einkaufen. Und wenn sie etwas tragen, was ich ausgesucht habe, bekommen sie von überall her Komplimente. Also schrieb ich mich in ein Universitätsprogramm für Gefängnisinsassen ein und studierte Modezeichnen. Eine Menge Kurse in Betriebswirtschaft habe ich auch absolvieren müssen. Als ich schließlich auf Bewährung freikam, arbeitete ich eine Weile in einem Schnellimbiß. Ich wohnte in einer billigen Pension und sparte. Ich machte erste Entwürfe, bezahlte Näherinnen dafür, Muster zu nähen, und fing an, meine Ware zu verhökern. Am Anfang war es nicht leicht. Zum Teufel, verdammt schwer sogar! Jedesmal, wenn ich von einem Laden einen Auftrag bekam, ging ich zur Bank und borgte mir Geld, um die Kleider fertigstellen zu können. Mann, hatte ich vielleicht Mühe, mich über Wasser zu halten! Aber es wurde immer besser. Im Augenblick geht es recht gut. In einem Jahr werde ich mein eigenes Geschäft in einer guten Gegend eröffnen. Und am Ende werden Sie in Beverly Hills einmal eine Tafel finden, auf der ›Eugene Tucker‹ steht. Das verspreche ich Ihnen.« Tony schüttelte den Kopf. »Sie sind ein erstaunlicher Mann.« »Eigentlich nicht«, meinte Tucker. »Ich lebe nur an einem erstaunlichen Ort und zu einer erstaunlichen Zeit.« Frank hielt den Umschlag mit den Fotos von Bobby »Angel« Valdez in der Hand. Er tippte sich damit ans Knie, sah Tony an und meinte: »Ich glaube, wir sind hier an der falschen Adresse.«
»Ja, sieht so aus«, nickte Tony.
Tucker rutschte auf seinem Sessel nach vorne. »Was wollten Sie denn?«
Tony erzählte ihm von Bobby Valdez.
»Nun«, sagte Tucker, »ich bewege mich nicht mehr in diesen
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