Flüstern in der Nacht
gewöhnen, wenn der Reiz der Neuheit nachläßt. Ich werd' mir angewöhnen, im Bett Lockenwickler und Nachtcreme zu tragen.«
»Und ich werde anfangen, Zigarren zu rauchen und mir die Johnny-Carson-Show anzusehen.« »Das wäre jammerschade«, lächelte sie. »Es wird natürlich eine Weile dauern, bis der Reiz verflogen ist.«
»Ja, eine Weile«, pflichtete sie ihm bei. »Vielleicht fünfzig Jahre.« »Oder sechzig.«
Sie zögerten den Abschied noch mindestens eine Viertelstunde hinaus, aber schließlich stand sie auf und zog sich an. Tony schlüpfte in seine Jeans.
Auf dem Weg zur Tür blieb sie im Wohnzimmer stehen und starrte eines seiner Gemälde an. Dann meinte sie: »Ich möchte sechs deiner besten Stücke zu Wyant Stevens in Beverly Hills bringen und sehen, ob er dich übernehmen will.« »Wird er nicht.« »Ich will es versuchen.« »Das ist eine der besten Galerien.«
»Warum unten anfangen?«
Er starrte sie an, schien aber durch sie hindurchzusehen. Und dann meinte er: »Vielleicht sollte ich springen.« »Springen?«
Er erzählte ihr von dem Rat, den Eugene Tucker, der schwarze Ex-Zuchthäusler und jetzt Modemacher, ihm gegeben hatte. »Tucker hat recht«, meinte sie. »Das ist nicht einmal ein Sprung. Nur ein kleiner Hopser. Schließlich gibst du ja deinen Job bei der Polizei nicht auf. Du streckst ja bloß einmal den Fuß ins Wasser.«
Tony zuckte die Achseln. »Wyant Stevens wird nein sagen, aber ich verliere nichts dabei, indem ich ihm die Gelegenheit gebe.«
»Er wird nicht nein sagen«, erklärte sie. »Wähle ein halbes Dutzend Gemälde aus, von denen du glaubst, daß sie einen repräsentativen Querschnitt deiner Arbeit zeigen. Ich werde versuchen, uns heute gegen Abend oder vielleicht morgen einen Termin bei Wyant zu verschaffen.«
»Wähl' du sie aus«, antwortete er. »Nimm sie mit. Wenn du Gelegenheit hast, Stevens zu sprechen, dann zeig' sie ihm.« »Aber er wird dich bestimmt kennenlernen wollen.« »Wenn ihm das gefällt, was er zu sehen bekommt, kann er das. In diesem Fall werde ich mit dem größten Vergnügen zu ihm gehen.«
»Tony, wirklich –«
»Ich möchte einfach nicht dabeisein, wenn er sagt, daß es sich um ordentliche Arbeiten handelt, aber eben nur um Werke eines begabten Dilettanten.« »Du bist unmöglich.« »Vorsicht.«
»Ein solcher Pessimist.« »Realist.«
Sie hatte nicht die Zeit, sich all die sechzig Gemälde anzusehen, die im Wohnzimmer gestapelt lagen. Sie erfuhr zu ihrer Überraschung, daß er weitere fünfzig in Schränken verstaut hielt und dazu hundert Tuschezeichnungen, fast ebensoviele Aquarelle und unzählige Bleistiftskizzen. Sie wollte sie alle sehen, aber erst wenn sie ausgeruht war und sich wirklich an ihnen erfreuen konnte. Sie wählte sechs der zwölf Bilder aus, die an den Wohnzimmerwänden hingen. Um die Gemälde zu schützen, wickelten beide sie sorgfältig in ein altes Bettlaken, das Tony zu dem Zweck zerriß.
Er schlüpfte in ein Hemd und Schuhe und half ihr, die Pakete zu ihrem Wagen zu tragen, wo sie sie im Kofferraum verstaute.
Sie klappte den Deckel zu, schloß ihn sorgfältig ab, und dann schauten sie einander an, und keiner von beiden wollte sich vom anderen trennen.
Sie standen am Rand einer Lichtpfütze, die eine sechs Meter hohe Natriumdampflampe auf die Straße warf. Er küßte sie behutsam.
Die Nacht war kalt und still. Sterne standen am Himmel. »Es wird bald hell werden«, meinte er und küßte sie wieder, und dann hielt er ihr die Fahrertür auf. »Du wirst heute nicht arbeiten?« fragte sie ihn. »Nein. Nicht nach ... dem, was mit Frank passiert ist. Ich muß aufs Revier und einen Bericht schreiben, aber das dauert nur etwa eine Stunde. Ich nehm' mir ein paar Tage frei, ich hab noch genügend Urlaub.« »Ich ruf dich heute nachmittag an.« »Ich werde auf deinen Anruf warten«, sagte er. Sie fuhr durch die leeren morgendlichen Straßen. Nach kurzer Zeit fing ihr Magen zu knurren an; und ihr fiel ein, daß sie zum Frühstück nichts im Kühlschrank hatte. Sie hatte einkaufen wollen, nachdem der Mann von der Telefongesellschaft wieder gegangen war. Doch dann kam der Anruf von Michael Savatino, und sie war in aller Eile zu Tony gefahren. Sie bog an der nächsten Ecke links ab und kaufte in einem vierundzwanzig Stunden geöffneten Supermarkt Eier und Milch.
Tony nahm an, daß Hilary auf den verlassenen Straßen höchstens zehn Minuten brauchen würde, um nach Hause zu kommen, wartete aber fünfzehn Minuten, ehe er anrief,
Weitere Kostenlose Bücher