Flüstern in der Nacht
unmittelbaren Blickkontakt nicht abriß. Tony hatte vor ihr schon andere Frauen geliebt, war aber keiner so nahe gewesen wie jetzt Hilary Thomas. Und da dieser Augenblick etwas ganz Besonderes darstellte, wollte er ihn so lang wie möglich hinauszögern, wollte sie mitnehmen an den Abgrund und mit ihr abstürzen. Aber diesmal fehlte ihm die Beherrschung, die er sonst aufbringen konnte. Er raste auf den Abgrund zu, konnte nichts tun, um sein Gefühl aufzuhalten. Sie war nicht nur enger, glatter und heißer als jede andere Frau vor ihr, sondern ihre Muskeln schienen sogar irgendwelche besonderen Tricks zu beherrschen. Ihre vollkommenen Brüste und ihre seidige Haut, viel seidiger als bei jeder anderen Frau, machten ihn wild. Sie stellte für ihn etwas Besonderes dar, auf eine Art und Weise etwas Besonderes, das er noch nicht ganz definiert hatte; und diese Tatsache schien das Zusammensein mit ihr unerträglich zu gestalten.
Sie spürte seinen heranrasenden Orgasmus, legte die Hände auf seinen Rücken und zog ihn auf sich herunter. Er wollte sie nicht mit seinem vollen Gewicht belasten, aber sie schien davon gar nichts zu bemerken. Ihre Hüften hoben sich und preßten sich gegen ihn, und er stieß noch schneller und kräftiger zu. Und unglaublicherweise kam sie wieder, gerade, als nichts ihn mehr aufhalten konnte. Sie hielt ihn fest an sich gepreßt und flüsterte immer wieder seinen Namen, während er in ihr ausbrach, endlos und immer wieder in ihren tiefsten Tiefen. Eine ungeheure Welle von Zärtlichkeit, Zuneigung und schmerzhafter Sehnsucht durchflutete ihn, und er wußte in diesem Augenblick, daß er sie nie wieder gehenlassen würde.
Kurze Zeit später lagen sie nebeneinander auf dem Bett, hielten sich an den Händen und warteten, bis ihr Herzschlag sich verlangsamte.
Hilary fühlte sich von diesem Erlebnis physisch und emotionell ausgepumpt. Die Zahl und die erstaunliche Heftigkeit ihrer Höhepunkte erschütterte sie zutiefst. Sie hatte so etwas noch nie erlebt. Jeder Orgasmus war wie ein Blitzschlag gewesen, der sie in ihrem Kern traf, jede Faser mit einem unbeschreiblich prickelnden Strom durchzuckte. Aber Tony hatte ihr viel mehr gegeben als nur das sexuelle Vergnügen; da spürte sie noch etwas anderes, etwas Neues, so unsagbar Machtvolles, daß man es mit Worten nicht beschreiben konnte.
Sie wußte, daß manche Leute eine solche Art von Gefühlen mit dem Wort »Liebe« umschreiben würden. Aber sie war nicht bereit, jene beunruhigende Definition hinzunehmen. Seit langer, langer Zeit, seit ihrer Kindheit verband Hilarys Bewußtsein die Worte »Liebe« und »Schmerz« unlösbar miteinander. Sie konnte nicht glauben, sich in Tony Clemenza verliebt zu haben (oder er sich in sie), wagte es nicht zu glauben; wäre sie verliebt, so würde sie sich verletzbar machen, in eine Lage bringen, aus der sie sich nicht verteidigen konnte. Andererseits konnte sie sich kaum vorstellen, daß Tony ihr wissentlich wehtun würde. Er war nicht wie Earl, ihr Vater; er ließ sich mit niemandem, den sie je zuvor gekannt hatte, vergleichen. Von ihm ging eine Zärtlichkeit aus, eine ganz besondere Art von Güte, die ihr das Gefühl vermittelte, in seinen Händen absolut sicher zu sein. Vielleicht sollte sie mit ihm das Risiko eingehen. Vielleicht war er der Mann, der ein Wagnis wert war. Aber dann spürte sie, was sie im Falle einer Trennung empfinden würde. Würde sie tatsächlich alles für ihn aufs Spiel setzen, so wäre das ein harter Schlag. Sie wußte nicht, ob sie sich von solch einem Schlag je wieder erholen könnte. Ein Problem, für das es keine einfache Lösung gab. Sie wollte in diesem Augenblick einfach nicht daran denken. Sie wollte nur neben ihm liegen und in dem leuchtenden Schein baden, den sie gemeinsam geschaffen hatten.
Sie begann sich an die erotischen Empfindungen zu erinnern, die sie schwach gemacht hatten und jetzt hinter ihr lagen, aber noch prickelnd in ihr nachwirkten.
Tony wälzte sich zur Seite und schaute sie an. Er küßte sie auf den Hals, die Wangen. »Einen Penny für das, was du jetzt denkst.«
»Das ist viel mehr wert«, entgegnete sie. »Einen Dollar.« »Noch mehr.« »Hundert Dollar?« »Vielleicht hundert-tausend.« »Du hast aber teure Gedanken.« »Eigentlich keine Gedanken – Erinnerungen.« »Hunderttausend-Dollar-Erinnerungen?«
»Mmmmmmmmmm.« »Woran?«
»An das, was wir vor wenigen Minuten erlebten.« »Weißt du«, meinte er, »eigentlich bin ich überrascht. Du wirkst so
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