Flüstern in der Nacht
würde, wenn ihre Zeit kam, aber dann starb er. Sie war allein und hatte panische Angst, wegen ihres Hungerns und weil sie sich so eng geschnürt hatte, machte sie vor der Entbindung eine grausame Zeit mit. Ich rief den Arzt, der meine Mädchen jede Woche untersuchte, weil ich wußte, daß er diskret sein würde und bereit, ihren Fall zu übernehmen. Er war sich sicher, daß das Baby tot zur Welt kommen und Katherine eventuell bei der Geburt sterben würde. Ihre Wehen dauerten vierzehn Stunden und waren äußerst qualvoll. Ich habe noch nie solche Schmerzen mitansehen müssen. Die meiste Zeit schien sie im Delirium, aber wenn sie wieder zu sich kam, drängte es sie geradezu verzweifelt danach, mir zu erzählen, was ihr Vater ihr angetan hatte. Ich glaube, sie versuchte damit, ihre Seele zu flicken. Sie schien Angst davor zu haben, mit dem Geheimnis sterben zu müssen, und deshalb sah sie in mir einen Priester, der ihr die Beichte abnahm. Ihr Vater hatte sie kurz nach dem Tod ihrer Mutter gezwungen, ihm oral zu Willen zu sein, und als sie dann in das Haus auf der Klippe zogen, das, soweit mir bekannt ist, ziemlich isoliert steht, ging er daran, sie buchstäblich zur Sexsklavin abzurichten. Endlich alt genug für normalen Verkehr, traf er zwar Vorkehrungen, aber nachdem das viele Jahre lang gutging, wurde sie schließlich doch schwanger.«
Hilary hätte sich am liebsten in die Afghandecke auf der Couch gewickelt, um die Kälte abzuwehren, die auf sie eindrängte. Trotz der dauernden Prügel und der ewigen Einschüchterung, der physischen und geistigen Folterqualen, die sie im täglichen Zusammenleben mit Earl und Emma hatte erdulden müssen, wußte sie, daß sie noch Glück gehabt hatte, daß man sie nicht auch sexuell mißbraucht hatte. Wahrscheinlich war Earl impotent gewesen; nur das hatte sie vor dieser letzten Erniedrigung bewahrt. Dieser Alptraum war ihr wenigstens erspart geblieben. In diesem Augenblick empfand Hilary ein Gefühl tiefer Verbundenheit mit Katherine Frye.
Tony schien zu fühlen, was gerade in ihr vorging, ergriff ihre Hand und drückte sie.
Mrs. Yancy streichelte die weiße Katze, die daraufhin wohlig zu schnurren begann.
»Eines verstehe ich immer noch nicht«, erklärte Joshua. »Warum hat Leo Katherine nicht gleich zu Ihnen geschickt, als er erfuhr, daß sie ein Baby bekommen würde? Warum hat er Sie nicht gebeten, eine Abtreibung vornehmen zu lassen? Sie verfügten doch sicherlich über entsprechende Kontakte.«
»O ja«, antwortete Mrs. Yancy. »In meinem Beruf kannte man Ärzte, die so etwas übernahmen. Leo hätte das leicht über mich arrangieren können. Ich weiß nicht, warum er es nicht getan hat – wahrscheinlich, weil er hoffte, daß Katherine ein hübsches Mädchen zur Welt bringen würde.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen da folgen kann«, meinte Joshua. »Liegt das nicht auf der Hand?« fragte Mrs. Yancy und kraulte die weiße Katze unter dem Kinn. »Eine Enkeltochter hätte er nach wenigen Jahren auch abrichten können, so, wie er es mit Katherine gemacht hatte. Dann hätte er zwei besessen. Seinen eigenen kleinen Harem.«
Da Bruno seinem anderen Ich keine Antwort entlocken konnte, stand er auf, tappte planlos durch den großen Raum und wirbelte dabei den Staub vom Boden; Hunderte winziger Staubkörnchen tanzten im milchigen Lichtschein, der zum Fenster hereinfiel. Schließlich entdeckte er eine schwere Hantel, die vielleicht fünfzig Pfund wog. Sie gehörte zu jener Sammlung von Gewichten, die er zwischen seinem zwölften und fünfunddreißigsten Lebensjahr sechs Tage die Woche benutzte. Der größte Teil seiner Gerätschaften – die schwereren Gewichte und die Trainingsbank – standen unten im Keller. Aber er hatte immer ein oder zwei Hanteln in seinem Zimmer aufbewahrt, um sie in müßigen Augenblicken dazu zu benutzen, sich die Langeweile zu vertreiben. Jetzt griff er nach der Hantel und fing an, mit ihr zu trainieren. Seine mächtigen Schultern und die muskelbepackten Arme fielen schnell in den vertrauten Rhythmus; er begann zu schwitzen. Vor achtundzwanzig Jahren hatte er zum ersten Mal den Wunsch geäußert, Bodybuilding zu machen, und seine Mutter hielt das für eine ausgezeichnete Idee. Das Trainieren mit den Gewichten half, die sexuelle Energie besser zu verdrängen, die sich bei ihm gerade mit einsetzender Pubertät zu entwickeln begann. Katherine erklärte sich sofort damit einverstanden. Als sich allmählich Muskelpakete bei ihm zu formen begannen,
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