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Flüstern in der Nacht

Flüstern in der Nacht

Titel: Flüstern in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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mir auf. Ich war ihr vorher nie begegnet, ja wußte nicht einmal, daß er eine Tochter hatte. Aber er mußte ihr von mir erzählt haben. Er hatte sie zu mir geschickt, damit sie ihr Baby unter strengster Geheimhaltung zur Welt bringen konnte.« Joshua riß die Augen auf. »Ihr Baby?« »Sie war schwanger.« »Bruno war ihr Baby?«
    »Und was ist mit Mary Günther?« fragte Hilary. »Eine Mary Günther hat es nie gegeben«, fuhr die alte Frau fort.
    »Diese Geschichten haben Katherine und Leo nur zur Tarnung erfunden.«
    »Ich hab's gewußt!« erklärte Tony. »Zu glatt. Das Ganze war einfach zu glatt.«
    »Niemand in St. Helena wußte, daß sie schwanger war«, erzählte Rita Yancy weiter. »Sie trug mehrere Korsetts. Sie würden es nicht für möglich halten, wie das arme Mädchen sich einschnürte. Es war schrecklich. Vom ersten Tag an, dem ersten Ausbleiben ihrer Periode, lange bevor sie anfing, dick zu werden, begann sie sich immer kräftiger zu schnüren, ein Korsett über dem anderen zu tragen. Und gegessen hat sie auch nichts, um ja nicht zuzunehmen. Es ist ein Wunder, daß sie keine Fehlgeburt hatte und sich nicht selbst umbrachte.«
    »Und Sie haben sie zu sich genommen?« fragte Tony. »Ich will nicht behaupten, daß ich es aus reiner Herzensgüte tat«, meinte Mrs. Yancy. »Ich kann alte Frauen nicht ertragen, die selbstgefällig und selbstgerecht sind, wie all die, die ich beim Bridge oder in der Kirche sehe. Katherine hat mir keineswegs leid getan oder so etwas. Und ich hab' sie auch nicht aufgenommen, weil ich das Gefühl hatte, ihrem Vater etwas schuldig zu sein. Nicht das geringste schuldete ich ihm. Nach all dem, was ich von meinen Mädchen über ihn gehört hatte, mochte ich ihn auch nicht. Als Katherine auftauchte, war er bereits sechs Wochen tot. Ich hab' sie aus einem einzigen Grund aufgenommen und will Ihnen da gar nichts vormachen. Sie hatte dreitausend Eier bei sich für Unterkunft, Verpflegung und das Arzthonorar. Das war damals viel mehr Geld als heute.«
    Joshua schüttelte den Kopf. »Ich kann es einfach nicht verstehen. Sie hatte den Ruf, eiskalt zu sein. Sie machte sich nichts aus Männern. Sie hatte auch keinen Liebhaber, von dem irgend jemand erfahren hätte. Wer war der Vater?« »Leo«, entgegnete Mrs. Yancy. »Ach, du lieber Gott!« meinte Hilary leise. »Sind Sie da sicher?« fragte Joshua Rita Yancy. »Ganz sicher«, erklärte die alte Frau. »Er hatte sich an seiner eigenen Tochter seit ihrem vierten Lebensjahr vergangen. Schon als kleines Kind zwang er sie, ihm oral zu Willen zu sein. Und später, als sie dann größer wurde, hat er alles mit ihr gemacht. Alles.«
     
    Bruno hatte gehofft, ausreichender Schlaf würde Klarheit in sein Denken bringen, Durcheinander und Orientier-ungslosigkeit, die ihn letzte Nacht und auch noch am frühen Morgen peinigten, von ihm nehmen. Jetzt aber vor dem zerbrochenen Fenster im Dachboden stehend und in den grauen Oktobertag hinausblickend, spürte er, daß er sich ebensowenig unter Kontrolle hatte wie vor sechs Stunden. In seinem Gehirn tobten chaotische Gedanken, Zweifel, Fragen, Ängste; angenehme Erinnerungen und abscheuliche, wie Würmer ineinander verschlungen. Er wußte, was mit ihm nicht stimmte. Er war allein. Ganz allein. Nur ein halber Mensch. Das war es, was mit ihm nicht stimmte. Seit dem Augenblick, da seine andere Hälfte starb, stieg seine Nervosität beständig, fühlte er sich seiner immer unsicherer. Er verfügte nicht mehr über die Kraftreserven seiner beiden Hälften. Und jetzt, da er versuchen mußte, als halbe Person dahinzustolpern, wurde er mit sich einfach nicht mehr fertig; selbst die kleinsten Probleme schienen ihm unlösbar zu sein. Er wandte sich vom Fenster ab, taumelte schwerfällig zum Bett, kniete nieder und legte den Kopf in seiner Verzweiflung auf die Brust der Leiche.
     
    »Sag' etwas. Sag' doch etwas zu mir. Hilf mir doch bei dem, was ich tun muß. Bitte. Bitte, hilf mir.«
    Aber der tote Bruno hatte dem anderen, dem, der noch lebte, nichts zu sagen.
    Mrs. Yancys Salon. Die tickende Uhr.
    Eine weiße Katze kam aus dem Eßzimmer herein-geschlendert und sprang der alten Frau auf den Schoß. »Woher wissen Sie denn, daß Leo Katherine belästigt hat?« fragte Joshua. »Er hat es Ihnen sicherlich nicht erzählt.« »Nein, hat er nicht«, entgegnete Mrs. Yancy. »Aber Katherine hat es getan. Sie war in einem schrecklichen Zustand. Halb von Sinnen. Sie hatte damit gerechnet, daß ihr Vater sie zu mir schicken

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