Flüstern in der Nacht
»Nun, sagen wir, einiges paßt noch nicht ganz zusammen.« Howard musterte ihn einen Augenblick lang finster und nickte dann. »Okay. Einverstanden. Ich wollte ja nur klarstellen, daß ihre Darstellung mindestens vier Probleme aufwirft. Schließt du dich der Meinung an, so kann ich weitermachen.« Er wandte sich wieder Hilary zu. »Miss Thomas. Ich würde gern die Beschreibung des Eindringlings noch einmal hören.« »Warum? Ich hab' Ihnen doch seinen Namen genannt.« »Tun Sie mir den Gefallen.«
Sie begriff nicht, worauf er hinauswollte. Sie wußte, daß er versuchte, sie in die Falle zu locken, aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, um was für eine Falle es sich handelte oder was mit ihr passieren würde, wenn sie in diese Falle ging. »Also schön. Fangen wir noch einmal an. Bruno Frye ist groß, etwa einen Meter neunzig –« »Keinen Namen, bitte.« »Was?«
»Beschreiben Sie mir den Eindringling, ohne dabei Namen zu nennen.«
»Aber ich kenne seinen Namen«, erwiderte sie langsam und geduldig.
»Mir zuliebe«, behauptete er nicht besonders freundlich. Sie seufzte, lehnte sich zurück, tat gelassen. Sie wollte nicht, daß er merkte, wie sehr er sie aus der Fassung brachte. Was, zum Teufel, wollte er? »Der Mann, der mich überfallen hat«, begann sie wieder, »war etwa einen Meter neunzig groß, vielleicht hundertfünf Kilo schwer und sehr muskulös.« »Rasse?« fragte Howard. »Weiß.« »Teint?« »Hell.«
»Irgendwelche Narben oder auffällige Kennzeichen?« »Nein.«
»Tätowierungen?«
»Soll das ein Witz sein?« »Tätowierungen?« »Nein.«
»Sonst irgendwelche Merkmale?« »Nein.«
»War er in irgendeiner Weise behindert oder mißgestaltet?« »Ein großer, kerngesunder Hundesohn«, schrie sie unfreundlich. »Haarfarbe?« »Schmutziges Blond.« »Lang oder kurz?« »Mittellang.« »Augen?« »Ja.« »Was?«
»Ja, er hatte Augen.« »Miss Thomas –« »Okay, okay.« »Mir ist es sehr ernst.«
»Blaue Augen. Eine ungewöhnlich blaugraue Farbe.« »Alter?« »Etwa vierzig.«
»Irgendwelche Besonderheiten, die Ihnen sonst noch aufgefallen sind?«
»Was zum Beispiel?«
»Sie erwähnten seine Stimme.«
»Richtig. Er hatte eine tiefe Stimme. Dröhnend. Als hätte er Kieselsteine im Mund. Sie klang tief, rauh und kratzig.« »Also gut«, meinte Lieutenant Howard und wippte leicht mit den Absätzen, sichtlich zufrieden. »Wir erhielten eine gute Beschreibung des Täters. Und jetzt schildern Sie mir, wie Bruno Frye aussieht.« »Das habe ich gerade getan.«
»Nein, nein. Wir tun so, als würden Sie den Mann nicht kennen, der Sie überfallen hat. Wir treiben dieses kleine Spiel mir zuliebe. Erinnern Sie sich? Sie haben gerade den Täter beschrieben, einen Mann ohne Namen. Und jetzt möchte ich, daß Sie mir Bruno Frye beschreiben.«
Sie wandte sich Lieutenant Clemenza zu. »Ist das wirklich nötig?« meinte sie in einem Anflug von Verzweiflung. Clemenza antwortete: »Frank, läßt sich das nicht etwas beschleunigen?«
»Hör' zu, ich will auf etwas ganz Bestimmtes raus«, erklärte Lieutenant Howard. »Ich mache es, so gut ich kann. Außerdem ist sie diejenige, die das Ganze verlangt hat.« Er wandte sich wieder an sie. Hilary beschlich erneut das bedrückende Gefühl, sie stünde in einem anderen Jahrhundert vor Gericht, einem Gericht, in dem Howard die Rolle eines Inquisitors spielte. Und ließe Clemenza das zu, so würde Howard sie einfach packen und so lange schütteln, bis sie ihm die Antworten lieferte, die er hören wollte, egal, ob sie nun der Wahrheit entsprachen oder nicht.
»Miss Thomas«, meinte er, »wenn Sie einfach meine Fragen beantworten, bin ich in ein paar Minuten fertig. Würden Sie mir jetzt bitte Bruno Frye beschreiben?« Angewidert erklärte sie: »Einen Meter neunzig, hundertfünf Kilo, muskulös, blond, blaugraue Augen, etwa vierzig Jahre alt, keine Narben, keine Mißbildungen, keine Tätowierungen, tiefe, kratzige Stimme.«
Frank Howard lächelte, kein freundliches Lächeln. »Die Beschreibungen, die Sie uns vom Täter und von Bruno Frye geliefert haben, stimmen exakt überein. Keinen einzigen Unterschied. Keinen. Und Sie haben natürlich auch behauptet, es handle sich tatsächlich um ein und denselben Mann.« Seine Verhörführung erschien ihr lächerlich, aber sie hatte sicherlich ein Ziel. Er war nicht dumm. Sie fühlte, daß sie bereits in seiner Falle saß, obwohl sie die Zusammenhänge noch nicht erkennen konnte.
»Wollen Sie sich das noch einmal
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