Flüstern in der Nacht
überlegen?« fragte Howard. »Wollen Sie vielleicht sagen, es bestünde eine geringe Möglichkeit, daß es jemand anderer war, jemand, der Frye nur ähnelte?«
»Ich bin doch nicht blöd«, erklärte Hilary. »Er war es.« »Es gibt da nicht etwa einen winzigen Unterschied zwischen dem Täter und Frye? Irgendeine Kleinigkeit?« beharrte er. »Nein.«
»Nicht einmal die Form seiner Nase oder seiner Kinnlinie?« fragte Howard. »Nicht einmal das.«
»Sie sind ganz sicher, Frye und Ihr Täter haben genau denselben Haaransatz, dieselben Backenknochen, dasselbe Kinn?« »Ja.«
»Würden Sie das vor Gericht beschwören?« »Ja, ja, ja!« schrie sie, weil sie den Druck einfach nicht mehr ertragen konnte.
»Nun, gut. Hm. Ich fürchte, nach dieser Aussage würden Sie wohl selbst ins Gefängnis wandern. Meineid ist ein Verbrechen.«
»Was? Was meinen Sie?«
Er grinste sie an. Sein Grinsen wirkte noch unfreundlicher als sein Lächeln. »Miss Thomas, ich meine, ... Sie sind eine Lügnerin.«
Hilary war von der so offen ausgesprochenen Beschuldigung erschüttert, von dem häßlichen Fauchen in seiner Stimme wie benommen; ihr fiel in diesem Moment keine Antwort ein. Sie wußte nicht einmal, was er meinte. »Eine Lügnerin, Miss Thomas. Ganz klar und eindeutig.« Lieutenant Clemenza erhob sich aus dem braunen Sessel und fragte: »Frank, ist das hier richtig?« »Allerdings«, erwiderte Howard. »Ganz genau richtig. Während sie dort draußen mit den Reportern sprach und sich für die Fotografen so hübsch ins Bild rückte, erhielt ich einen Anruf aus der Zentrale. Die haben mit dem Sheriff von Napa County gesprochen.« »So schnell?«
»Allerdings. Er heißt Peter Laurenski. Sheriff Laurenski hat sich für uns auf Fryes Weingut umgesehen. Und weißt du, was er gefunden hat? Er hat festgestellt, daß Mr. Bruno Frye nicht nach Los Angeles gefahren ist – Bruno Frye hat sein Haus nie verlassen. Bruno Frye sitzt in diesem Augenblick dort oben in Napa County, in seinem eigenen Haus, und verhält sich harmlos wie eine Fliege.« »Unmöglich!« schrie Hilary und erhob sich vom Sofa. Howard schüttelte den Kopf. »Geben Sie auf, Miss Thomas. Frye hat Sheriff Laurenski erzählt, er hätte vorgehabt, heute nach L.A. zu kommen, um sich eine Woche lang hier aufzuhalten. Ein Kurzurlaub. Aber er hat seinen Schreibtisch nicht rechtzeitig leer bekommen, die Absicht aufgegeben und ist zu Hause geblieben, um seine Arbeit zu erledigen.« »Der Sheriff irrt sich!« sagte sie. »Er kann unmöglich mit Bruno Frye gesprochen haben.«
»Wollen Sie behaupten, daß der Sheriff lügt?« fragte Lieutenant Howard.
»Er ... muß mit jemandem gesprochen haben, der sich als Frye ausgibt«, erklärte Hilary und wußte zugleich, wie aussichtslos unglaubwürdig das klang.
»Nein«, erwiderte Howard. »Sheriff Laurenski hat mit Frye selbst gesprochen.«
»Hat er ihn gesehen? Hat er Frye tatsächlich gesehen?« fragte sie. »Oder hat er nur mit jemandem telefoniert, jemandem, der behauptete, Frye zu sein?«
»Ich weiß nicht, ob er ihn selbst gesehen oder mit ihm telefoniert hat«, meinte Howard. »Aber erinnern Sie sich, Miss Thomas, an Fryes ungewöhnliche Stimme? Außerordentlich tief. Kratzig. Eine gutturale Stimme, ›als hätte er Kieselsteine im Mund‹. Wollen Sie etwa behaupten, jemand hätte eine solche Stimme am Telefon nachahmen können?«
»Wenn Sheriff Laurenski Frye nicht besonders gut kennt, könnte ihn doch eine schlechte Imitation täuschen. Er-« »Der Bezirk dort oben ist klein. Einen Mann wie Bruno Frye, einen so wichtigen Mann, wird man sicherlich kennen. Und der Sheriff kennt ihn mehr als zwanzig Jahre lang sehr gut«, antwortete Howard triumphierend.
Lieutenant Clemenza sah aus, als litte er Schmerzen. Ihm machte es nicht viel aus, was Howard über sie dachte, aber unter allen Umständen sollte Clemenza ihre Darstellung glauben. Ein zweifelndes Flackern in seinen Augen beunruhigte sie ebenso wie Howards Einschüch-terungsversuche. Sie wandte den beiden Beamten den Rücken zu und trat ans Fenster, das auf den Rosengarten zeigte, versuchte ihren Zorn unter Kontrolle zu bringen, konnte ihn aber nicht unterdrücken und drehte sich wieder um. Sie sprach zu Howard gewandt, wütend, und hob jedes Wort hervor, indem sie mit der Faust auf den Fenstersims schlug: »Bruno – Frye – war – hier!« Die Vase mit den Rosen schwankte, kippte vom Tisch, fiel auf den Teppich, verstreute die Blumen und verschüttete das Wasser. Sie
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