Flüstern in der Nacht
nicht aufhalten, falls Sie das in Erwägung ziehen – das würde gegen die Gesetze der Physik sprechen.« Lieutenant Clemenza schaltete sich erneut ein. »Frank, vielleicht sollte ich jetzt mit Miss Thomas weitermachen.« »Was gibt es da noch zu machen? Das Ganze ist vorbei, erledigt, fertig.« Howard zeigte anklagend mit dem Finger auf sie. »Sie haben verdammtes Glück, Miss Thomas. Wäre Frye nach Los Angeles und die Sache vor Gericht gekommen, so hätten Sie einen Meineid geschworen und wären am Ende ins Gefängnis gewandert. Und außerdem haben Sie Glück, daß wir keine Möglichkeit besitzen, jemand dafür zu bestrafen, daß er unsere Zeit so vergeudet.«
»Ich glaube nicht, daß wir unsere Zeit vergeudet haben«, sagte Clemenza mit sanfter Stimme.
»Zum Teufel.« Howard funkelte sie an. »Eines sage ich Ihnen. Wenn Bruno Frye Sie wegen Verleumdung anzeigen will, dann werde ich weiß Gott für ihn in den Zeugenstand treten. Damit drehte er sich um, ließ sie einfach stehen und ging auf die Tür zu.
Lieutenant Clemenza machte keine Anstalten, hinaus-zugehen; er wollte offenbar noch etwas sagen. Und sie wollte nicht, daß der andere hinausging, solange eine wichtige Frage nicht beantwortet schien. »Warten Sie einen Augenblick«, sagte sie.
Howard blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Ja. Was ist?« »Was werden Sie in bezug auf meine Anzeige unternehmen?« fragte sie.
»Meinen Sie das im Ernst?« »Ja.«
»Ich werde zum Wagen gehen, die Fahndung nach Bruno Frye stoppen und für heute Schluß machen. Anschließend fahr' ich nach Hause und werde mir ein paar Flaschen Coors zu Gemüte führen.«
»Sie können mich doch hier nicht allein lassen? Was ist, wenn er zurückkommt?«
»Herrgott!« schimpfte Howard. »Machen Sie doch endlich Schluß mit dem Theater!«
Sie tat ein paar Schritte auf ihn zu. »Ganz gleich, was Sie glauben, ganz gleich, was der Sheriff von Napa County behauptet, das Ganze hier ist kein Theater. Lassen Sie mir wenigstens einen der uniformierten Leute auf ein oder zwei Stunden hier, bis ich einen Schlosser bekomme, der mir die Schlösser auswechselt?«
Howard schüttelte den Kopf. »Nein. Verdammt will ich sein, wenn ich Steuergelder verschwende, um Ihnen einen Schutz zu bieten, den Sie nicht brauchen. Geben Sie auf. Jetzt ist Schluß. Sie haben verloren. Finden Sie sich damit ab, Miss Thomas.« Er ging hinaus.
Hilary trat zu dem braunen Sessel und fiel hinein. Sie wirkte erschöpft, völlig konfus und hatte Angst.
Clemenza sagte: »Ich werde dafür sorgen, daß Whitlock und Farmer bei Ihnen bleiben, bis die Schlösser ausgewechselt sind.«
Sie blickte ihn an. »Ich danke Ihnen.«
Er zuckte die Achseln und fühlte sich sichtlich unbehaglich. »Es tut mir leid, aber viel mehr kann ich nicht tun.« »Ich habe die Geschichte nicht erfunden«, beharrte sie. »Ich glaube Ihnen.«
»Frye war wirklich hier«, wiederholte sie. »Ich bezweifle nicht, daß jemand hier war, aber –« »Nicht irgend jemand, Frye.«
»Wenn Sie sich das mit der Identifizierung noch einmal überlegen würden, könnten wir den Fall weiter bearbeiten und –« »Es war Frye«, behauptete sie, jetzt nicht mehr ärgerlich, sondern müde. »Er war es und niemand sonst.« Einen Augenblick lang sah Clemenza sie interessiert an, und in seinen klaren braunen Augen stand ehrliches Mitgefühl. Er war ein gutaussehender Mann, aber das, was dem Auge an ihm am meisten gefiel, hing nicht mit seinem Aussehen, sondern mit der Wärme und Freundlichkeit seiner italienischen Züge zusammen, jener besonderen Besorgtheit und jenem Verständnis, das in seinem Gesicht stand. Sie fühlte, daß ihr Schicksal ihm wirklich etwas bedeutete. »Sie haben ein schlimmes Erlebnis hinter sich«, meinte er. »Sie sind verwirrt. Das ist ganz verständlich. Manchmal scheint auch das Wahrnehmungsvermögen beeinträchtigt, wenn man einen solchen Schock bekommt. Vielleicht werden Sie sich, sobald Sie sich etwas beruhigt haben, ein wenig anders an alles erinnern. Ich werde morgen irgendwann noch einmal bei Ihnen vorbeischauen. Vielleicht haben Sie mir bis dahin Neuigkeiten zu berichten.« »Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Hilary, ohne zu zögern. »Aber trotzdem vielen Dank dafür, ... daß Sie so freundlich waren.«
Sie hatte das Gefühl, er zögerte zu gehen. Doch dann war er draußen, und sie saß allein in ihrem Arbeitszimmer. Ein oder zwei Minuten lang brachte sie die Energie nicht auf, sich aus dem Sessel zu erheben. Sie fühlte
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