Flüstern in der Nacht
Überdosis Rauschgift gestorben. Und dann lag da noch Bruno Frye.
Um 19.30 Uhr am Donnerstag beendete ein Pathologe in der städtischen Leichenhalle die Teilautopsie der Leiche von Bruno Günther Frye, männlich, weiße Hautfarbe, vierzig Jahre alt. Der Arzt hielt es nicht für nötig, die Leiche außerhalb der beiden Bauchwunden-Bereiche zu sezieren, weil er sich schnell davon überzeugen konnte, daß der Tote eindeutig an diesen beiden Verletzungen und sonst an nichts gestorben war. Die obere Wunde war unkritisch; das Messer hatte Muskelgewebe aufgerissen und einen Lungenflügel gestreift. Aber die untere Wunde war schlimm; die Klinge hatte den Magen aufgerissen, die Bauchschlagader durchstoßen und unter anderem die Bauchspeicheldrüse verletzt. Das Opfer war an starken inneren Blutungen gestorben. Der Pathologe vernähte seine Einschnitte und schloß anschließend auch die zwei verkrusteten Wunden. Er wischte Blut, Galle und Gewebsfetzen von dem zugenähten Bauch und dem mächtigen Brustkasten ab. Der Tote wurde dann vom Autopsietisch auf einen Wagen gelegt, den ein Angestellter in einen Kühlraum schob, wo weitere sezierte Leichen geduldig auf die Begräbnisfeierlichkeiten und die Bestattung warteten.
Nachdem der Angestellte fort war, lag Bruno Frye stumm und reglos, friedlich in der Gesellschaft der Toten, wie er es in der Gesellschaft der Lebenden nie hatte sein können.
Frank Howard war dabei, sich zu betrinken. Er hatte Jackett und Krawatte abgelegt und die obersten zwei Knöpfe seines Hemdes geöffnet. Sein Haar war zerzaust, weil er sich immer wieder mit den Fingern durchfuhr. Seine Augen wirkten blutunterlaufen, und sein breites Gesicht teigig. Er sprach schon etwas undeutlich, wiederholte sich laufend und beharrte auf manchen Äußerungen so hartnäckig, daß Tony ihn zum Weiterreden drängen mußte, so wie man die in einer Plattenrille hängengebliebene Nadel weiterschiebt. Für jedes Glas Bier, das Tony trank, kippte er mindestens zwei Scotch. Je mehr er trank, desto mehr redete er über die Frauen in seinem Leben. Und je näher er dem Stadium der Volltrunkenheit rückte, desto bewußter wurde ihm die Urqual seines Lebens: der Verlust zweier Ehefrauen.
In seinem zweiten Jahr als uniformierter Polizeibeamter von Los Angeles lernte Frank Howard seine erste Frau, Barbara Ann, kennen. Sie war Verkäuferin in der Schmuckabteilung eines Kaufhauses in der Innenstadt und ihm dabei behilflich gewesen, ein Geschenk für seine Mutter auszuwählen. Sie war so nett, schlank und hübsch mit ihren dunklen Augen, daß er einfach nicht widerstehen konnte und sie um ein Rendezvous bat, obwohl er sicher war, daß sie ablehnen würde. Aber erstaunlicherweise sagte sie ja. Sieben Monate später heirateten sie. Barbara Ann war eine Planerin, sie hatte alles festgelegt – schon lange vor der Hochzeit arbeitete sie einen detaillierten Plan für ihre ersten vier gemeinsamen Jahre aus. Sie würde weiterhin in dem Kaufhaus jobben, aber keinen Pfennig ihres Einkommens ausgeben. Ihr ganzes Geld würde auf ein Sparkonto wandern und später als Anzahlung für ein Haus dienen. Sie sollten sich bemühen, auch von seinem Gehalt soviel wie möglich auf die Seite zu legen, indem sie in einem sauberen, aber preiswerten Einzimmer-Apartment wohnten. Seinen Pontiac würden sie verkaufen, weil er zuviel Benzin brauchte. Sie wohnten so nahe am Kaufhaus, daß Barbara Ann zu Fuß zur Arbeit gehen könnte und Frank sollte mit ihrem Volkswagen zum Revier fahren; der Erlös aus dem Verkauf seines Wagens würde in den Hausfonds wandern. Für die ersten sechs Monate hatte sie sogar einen täglichen Speiseplan ausgearbeitet, nahrhafte Mahlzeiten zu günstigen Preisen. Frank liebte ihre strenge buchhalterische Ader, zum Teil auch deshalb, weil sie so überhaupt nicht zu ihr zu passen schien. Sie war eine lockere, fröhliche Frau, die gern lachte und manchmal in nicht finanziellen Dingen sogar etwas überdreht und geradezu impulsiv reagierte. Außerdem war sie eine wundervolle Bettgenossin, stets bereit, mit ihm zu schlafen und in diesem Punkt verdammt gut. In dieser Hinsicht verhielt sie sich alles andere als buchhalterisch; ihre Liebe brauchte keine Planung – das kam meistens ganz plötzlich, überraschend und leidenschaftlich. Aber nach ihrem Plan sollte sie das Haus erst dann kaufen, wenn sie wenigstens vierzig Prozent des Kaufpreises zusammengespart hatten. Sie wußte ganz genau, wie viele Zimmer es haben sollte, und wie groß
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