Fluesterndes Gold
könnte auf einmal einfach weg sein. Ich zucke zusammen. Ich will nicht sterben.
Nick stellt seinen Teller auf den Boden. Er wackelt ein bisschen, weil der Untergrund nicht ganz eben ist. Da er jetzt nichts mehr in der Hand hat, kann er sich nach vorn beugen und beide Hände flach auf den Boden legen wie im Yoga bei der »Hundestellung Kopf nach unten«.
»Zara?« Seine Stimme rührt mich an, aber ich untersuche lieber ganz genau meine Eier. »Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht.«
»Du kannst mir das nicht versprechen. Kein Mensch kann verhindern, dass ein anderer verletzt oder gar getötet wird.« Ich schlucke und schaue ihn an. Sein Mund ist so nahe an meinem. Seine Augen erscheinen mir hungrig, aber auch ruhig und stark, deshalb spreche ich weiter: »Noch vor zwei Wochen wäre es mir egal gewesen. Wenn ich gestorben wäre. Verstehst du?«
Er nickt und wartet ab.
Meine Lippen zucken, denn ich finde nicht die richtigen Worte. »Mein Dad hat mir einfach so gefehlt.«
Ich schlucke noch einmal. Warum ist schlucken so schwer? »Aber jetzt.« Ich rutsche ein bisschen vor. »Jetzt will ich nicht sterben. Ich will keine Angst haben. Ich will einfach leben.«
Er lässt meine Worte auf sich wirken und fragt dann: »Was hat sich verändert?«
»Ich weiß nicht. Du, vielleicht? Oder vielleicht, weil ich gesehen habe, wie glücklich und mutig Issie die ganze Zeit ist. Oder …« Ich rutsche näher, sodass meine Stirn die seine berührt. »Vielleicht, weil ich so schreckliche Angst hatte. Da wurde mir auf einmal klar, dass ich nicht sterben will.«
Er küsst mich auf die Nase. Seine Lippen wandern zu meiner Wange und dann hinunter zu meinen Lippen. Dort flüstert er: »Ich sorge dafür, dass dir nichts geschieht, Zara.«
Ich packe ihn an den Schultern. »Und was ist mir dir? Wer sorgt dafür, dass dir nichts geschieht?«
»Mir geschieht nichts.«
Seine Lippen streifen meine Lippen und pressen sich dann auf meinen Mund. Ich erwidere den Druck. Meine Hände verlassen seine Schultern und bewegen sich zu seinem Kopf. Vorsichtig ziehe ich sein Gesicht von mir weg.
»Versprichst du es?« Ich starre ihn an. »Schwörst du es?«
»Ich schwöre.«
»Wir müssen gehen«, sagt er.
Wir stehen in der kalten Küche und stellen das Geschirr in ein wasserloses Spülbecken. Draußen wird die Schneedecke immer dicker. Meine Fingerspitzen berühren die kalte Fensterscheibe. »Soll das ein Witz sein?«
Ich stelle die Pfanne in die Spüle. Das Metall passt zum Edelstahl der Spüle. Eine eklig braune Kruste aus angebackenem Corned Beef überzieht den Pfannenboden.
Ich reiße ein Stück von der Küchenrolle ab. »Igitt.«
»Zara? Wir können uns nicht die ganze Nacht in deinem Zimmer verstecken.« Nick greift um mich herum und packt den Pfannenstiel. Er schwenkt die Pfanne so, dass das Spülmittel sich über die gesamte Kruste verteilt. »Wir müssen uns das Problem jetzt vom Hals schaffen.«
»Jetzt?«
»Solange es noch hell ist.«
»Ach, sieh an, Mister Hyperaktiv.«
»Ich meine es ernst, Zara.«
Er stellt die Pfanne wieder in das Spülbecken. Wir können nichts weiter machen, ohne Wasser.
»Ich weiß. Ich weiß, dass du es ernst meinst. Aber ich bin für Schnee nicht geeignet.« Ich ziehe meinen Pferdeschwanz stramm. Meine Haare sind nicht gerade im besten Zustand, weil ich ja nicht duschen konnte. Dann ziehe ich die Wollsocken hoch. Ich trage zwei Paar übereinander, und sie werfen unter meinen Zehen Falten. »Und wohin sollen wir gehen? Und was ist mit Betty?«
»Sie sollte inzwischen eigentlich hier sein«, sagt er, und mein Herz versucht sich hinter meinen Lungen zu verstecken, um nicht zuhören zu müssen. Ich aber höre zu. Ich höre weiter zu, obwohl ich mir so schreckliche Sorgen um Betty mache. »Wir gehen zu mir. Wir holen Issie und Devyn und denken uns gemeinsam was aus.«
Ich zeige aus dem Fenster. »Und wie kommen wir dahin?«
»Mit meinem Auto.«
»Die Straßen sind katastrophal. Betty hat gesagt, wir sollen nicht fahren.«
»Ich weiß, aber manchmal muss man gegen Verbote verstoßen.«
Ich geb’s auf. Ohne Betty will ich sowieso nicht hierbleiben. Vor allem nicht, wenn die Elfen wieder zurückkommen. Ich stürme die Treppe hinauf und hole meine Aktionsaufrufe.
»Du willst zur Post?«, spottet Nick.
»Das sind die Aktionsaufrufe. Die müssen so schnell wie möglich raus, sonst werden die Menschen gefoltert oder getötet oder …«
Er legt mir die Finger auf die Lippen. »Du bist ja noch
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