Flug 2039
Geschlechtsorgan, das Pistill, bestehend aus Narbe, Griffel und Fruchtknoten, ist aus Jett gebildet. Ein Staubfaden aus Draht mit einem winzigen Staubbeutel aus Glas bildet die männlichen Geschlechtsorgane, die Staubgefäße.
Es gehört zu meinem Job, im Garten frische Blumen heranzuziehen, aber das bekomme ich nicht hin. Bei mir wächst nicht einmal Unkraut.
Mir selbst mache ich weis, dass ich hier bin, um Blumen zu sammeln, frische Blumen fürs Haus. Ich stehle die nachgemachten Blumen und stecke sie in die Gartenerde. Die Leute, für die ich arbeite, sehen immer nur aus dem Haus in den Garten, also stecke ich das falsche Grünzeug in die nackte Erde, Farn und Efeu und dazwischen künstliche Blumen der entsprechenden Jahreszeit. Das sieht schön aus, man darf nur nicht zu genau hinsehen.
Die Blumen wirken sehr lebensecht. So natürlich. So friedlich.
Blumenzwiebeln für das Frühbeet findet man am besten im Container hinter dem Mausoleum. Weggeworfene Plastiktöpfe mit allerlei nicht aufgegangenen Zwiebeln von Hyazinthen und Tulpen, Tiger- und Feuerlilien, Narzissen und Krokus, die man nur mit nach Hause nehmen und wieder zum Leben erwecken muss.
Objekt Nummer 786, schreibe ich, befindet sich in der Vase von Grabnische 2387, die wiederum in der obersten Nischenreihe liegt, in der kleineren Südgalerie auf der siebten Etage des Heiterkeits-Flügels. Diese Lage, schreibe ich, knapp zehn Meter über dem Fußboden könnte den nahezu perfekten Erhaltungszustand der Rose erklären, gefunden in einer der ältesten Nischen in einem der ursprünglichen Flügel des Columbia Memorial Mausoleums.
Dann stehle ich die Rose.
Den Leuten, die mich hier sehen, erzähle ich eine andere Geschichte.
Die offizielle Version für den Grund meines Aufenthalts hier lautet, dass in diesem Mausoleum die besten Exemplare künstlicher Blumen bis weit zurück in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu finden sind. Die sechs Hauptflügel, der Heiterkeits-Flügel, der Zufriedenheits-Flügel, der Ewigkeits-, der Gelassenheits-, der Harmonie- und der Neue-Hoffnung-Flügel, sind zwischen fünf und achtzehn Stockwerke hoch. In die drei Meter dicken Wände sind wabenförmige Nischen eingelassen, die auch die längsten Särge aufnehmen können. Luftzirkulation findet in den meilenlangen Galerien nicht statt. Besucher kommen nur selten. Und wenn, bleiben sie meist nur kurz. Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden das ganze Jahr über konstant niedrig gehalten.
Die ältesten Objekte stammen aus der Kultur der viktorianischen Blumensprache. Folgt man dem Klassiker von 1840, Le langage des fleurs der Madame de la Tour, stand violetter Flieder für den Tod. Weißer Flieder, Gattung Syringa, stand für das erste Liebeserlebnis.
Die Geranie stand für vornehme Herkunft.
Die Butterblume für kindliches Wesen.
Da die meisten künstlichen Blumen als Hutschmuck verwendet wurden, haben die besten noch existierenden Exemplare in Mausoleen wie diesem überlebt.
Das erzähle ich den Leuten. Meine offizielle Version der Wahrheit.
Wenn man mich tagsüber mit Notizbuch und Bleistift sieht, stehe ich meistens ganz oben auf einer Leiter und klaue gerade aus irgendeiner Nische hoch oben in der Wand einen Strauß künstlicher Stiefmütterchen. Wenn unten etwa eine Collegeklasse vorbeikommt, wölbe ich eine Hand um den Mund und flüstere zu den Versammelten hinunter.
Ich recherchiere für eine Arbeit.
Manchmal bin ich auch spätabends hier. Nachdem alle anderen gegangen sind. Allein streife ich nach Mitternacht hier herum und träume davon, dass ich irgendwann einmal hinter der nächsten Ecke auf eine offene Nische in der Wand stoße und daneben einen ausgetrockneten Kadaver finde, die Haut welk im Gesicht, der Frack steif und fleckig von den Flüssigkeiten, die aus dem Körper gesickert sind. Ich werde diese Leiche in einer schwach beleuchteten Galerie finden, in der nichts zu hören ist als das Summen einer einzigen flackernden Neonröhre, die dann auch gleich erlischt und mich für immer mit diesem toten Ungeheuer im Dunkeln allein lässt.
Die Augen des Toten sollen in dunklen Höhlen versunken sein, und er soll blindlings voranstolpern, sich an den kalten Marmorwänden entlangtasten und sie mit verwestem Brei beschmieren, bis die Knochen seiner Handflächen freigelegt sind. Der müde Mund hängt offen, die nicht mehr vorhandene Nase besteht nur noch aus zwei schwarzen Löchern, das Hemd weht lose um die bloßen Schlüsselbeine.
Ich suche nach Namen, die ich
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