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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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lebender Mensch oder ein Gespenst ist. Das Kleid bedeckt zu viel von ihr, sodass ich nicht sehen kann, ob ihre Brust sich bewegt. Und es ist zu warm, als dass ihr Atem sichtbar wäre.
    Das Hohelied, Kapitel sieben, Vers drei:
    »Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Rosen.«
    Die Bibel wirft Sex und Essen häufig zusammen.
    Ich stehe hier vor Objekt Nummer 136, kleinen, rosa bemalten Schneckenmuscheln, die Rosenknospen darstellen sollen, und Objekt Nummer 78, der Bakelitnarzisse, und möchte von ihren kalten toten Armen umschlungen werden, möchte von ihr hören, dass das Leben kein absolutes Ende hat. Mein Leben ist kein Komposthaufen aus Begräbnisgrün, das morgen schon vermodert ist und von meinem Namen in einer Todesanzeige überlebt wird.
    In diesen meilenlangen Marmorschluchten mit ihren Grabnischen hat man das Gefühl, sich in einem mit Tausenden von Menschen überfüllten Gebäude zu befinden, zugleich aber auch allein zu sein. Sollte sie mich etwas fragen, könnte ein Jahr vergehen, bis ich ihr antworte.
    Mein Atem beschlägt die gemeißelten Jahreszahlen, die das kurze Leben des Trevor Hollis bezeichnen. Der Grabspruch lautet:
     
    Für die Welt war er ein Versager,
    Aber für mich war er die Welt.
     
    Trevor Hollis, tu dein Schlimmstes. Komm doch, wenn du dich traust, und räche dich.
    Den Kopf nach hinten gelegt, lächelt das Mädchen zu mir herauf. Vor all dem grauen Gestein ringsum flammt ihr rotes Haar wie Feuer. Sie sagt zu mir: »Du hast Blumen mitgebracht.«
    Ich bewege die Arme, und ein paar Blüten, Veilchen, Gänseblümchen und Dahlien, regnen um sie nieder.
    Sie fängt eine Hortensie auf und sagt: »Seit dem Begräbnis ist niemand mehr hier gewesen.«
    Das Hohelied, Kapitel sieben, Vers vier:
    »Deine zwei Brüste sind wie zwei Rehzwillinge.«
    Ihr Mund mit den zu schmalen rostroten Lippen sieht aus wie eine Schnittwunde. »Hi. Ich heiße Fertility«, sagt sie.
    Sie hält die Blüte hoch, als wäre ich keineswegs gänzlich außer Reichweite. »Und woher kennst du meinen Bruder Trevor?«, fragt sie mich.

Kapitel 42
    Ihr Name war Fertility Hollis. So hieß sie wirklich, ohne Quatsch, und ich brenne darauf, meiner Sozialarbeiterin am nächsten Tag von ihr zu erzählen.
    Entsprechend den Vorschriften habe ich mich einmal wöchentlich für eine Stunde mit meiner Sozialarbeiterin zu treffen. Im Gegenzug erhalte ich Übernachtungsgutscheine. Das Programm berechtigt mich zum Empfang von Unterhaltszuschüssen. Käse, Milchpulver, Honig und Butter auf Kosten der Regierung. Jobvermittlung gratis. Und das sind nur einige der Vergünstigungen, die das staatliche Hilfsprogramm für Überlebende zu bieten hat. Meine schäbige kleine Wohnung und Käsereste. Mein schäbiger kleiner Job, der mir erlaubt, massenhaft Kalbsfleisch im Bus nach Hause zu schmuggeln. Es reicht gerade aus, um über die Runden zu kommen.
    Man bekommt nichts wirklich Gutes, man bekommt keinen Behindertenparkausweis, aber einmal die Woche bekommt man für eine Stunde eine Sozialarbeiterin. Meine fährt jeden Dienstag in ihrem unscheinbaren Dienstwagen vor dem Haus vor, in dem ich arbeite, ausgestattet mit professionellem Mitgefühl und den Akten zu meiner Vorgeschichte und ihrem Fahrtenbuch, in das sie die von Klient zu Klient zurückgelegten Kilometer einträgt. Diese Woche hat sie vierundzwanzig Klienten. Letzte Woche hatte sie sechsundzwanzig.
    Jeden Dienstag kommt sie und hört mir zu.
    Jede Woche frage ich sie, wie viele Überlebende landesweit noch übrig sind.
    Sie sitzt in der Küche und macht sich über Daiquiris und Tortillachips her. Die Schuhe hat sie weggetreten, ihre mit Klientenakten voll gestopfte Stofftragetasche liegt zwischen uns auf dem Tisch; sie packt ein Klemmbrett aus, blättert in den Formularen für die Wochenberichte herum und legt meines schließlich nach oben. Sie fährt mit der Fingerspitze über eine Zahlenkolonne und sagt: »Einhundertsiebenundfünfzig Überlebende. Landesweit.«
    Sie trägt das Datum ein, sieht auf die Uhr und notiert die Zeit auf meinem wöchentlichen Meldeformular. Sie hält mir das Klemmbrett hin, damit ich den Eintrag kontrolliere und mit meiner Unterschrift bestätige. Zum Beweis, dass sie hier war. Dass wir miteinander geredet haben. Sie hat mir einen Bleistift gegeben. Wir haben unsere Herzen ausgeschüttet. Höre mich, heile mich, rette mich, glaube mir. Es ist nicht ihre Schuld, wenn ich mir, nachdem

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