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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Religion, außerhalb Ihrer Kolonie zu leben?«
    Das hörte sich eher nach den Mennoniten an.
    »Ich habe noch nie einen Hutteriten kennen gelernt.«
    Das ist immer noch der Fall.
    Es war ein gutes Gefühl, sich von der Welt abzuheben, einen geheimnisvollen und frommen Eindruck zu machen. Man stellte sein Licht nicht unter den Scheffel. Man war rechtschaffen, und man ließ es sich deutlich anmerken. Man war der einzige Heilige, der Gott davon abhielt, das ganze Sodom und Gomorrha des Valley-Plaza-Einkaufszentrums zu zerschmettern.
    Man war der Erlöser aller Menschen, ob sie es nun wussten oder nicht. An schwülen Tagen glich man in seiner mausgrauen Wolle einem Märtyrer auf dem Scheiterhaufen.
    Und ein noch herrlicheres Gefühl war es, jemandem zu begegnen, der genauso gekleidet war wie man selbst. Braune Hose oder braunes Kleid, und dazu die klobigen braunen Schuhe. Man fand sich in einer stillen kleinen Enklave der Kommunikation. Es gab so wenige Dinge, die wir in der Außenwelt zueinander sagen durften. Man konnte nur drei oder vier Dinge sagen, und daher fing man ganz langsam an und überhastete kein einziges Wort. Einkaufen war der einzige Grund, überhaupt in die Öffentlichkeit gehen zu dürfen, und das auch nur, wenn einem Geld anvertraut wurde.
    Wenn man jemanden von der Kirchenkolonie traf, konnte man sagen:
    Mögest du dein Lebtag nur nützlich sein.
    Man konnte sagen:
    Lob und Preis dem Herrn für diesen arbeitsreichen Tag.
    Man konnte sagen:
    Mögen deine Mühen alle Menschen in den Himmel bringen.
    Und man konnte sagen:
    Mögest du sterben, sobald deine Arbeit vollendet ist.
    Das war das Äußerste.
    Wenn man einen anderen rechtschaffen und schwitzend in seiner Kirchentracht erblickte, ging einem diese kleine Konversation durch den Kopf. Man eilte aufeinander zu, durfte sich aber nicht berühren. Keine Umarmung. Kein Händedruck. Man sprach einen erlaubten Satz. Der oder die andere sprach ebenfalls einen. So ging das hin und her, bis jeder seine zwei Sätze aufgesagt hatte. Dabei hielt man den Kopf gesenkt, und anschließend setzte man seine Arbeit fort.
    Aber das waren nur die kleinsten Teile des kleinsten Teils der Regeln, an die man sich halten musste. Wer in der Kirchenkolonie aufwuchs, musste die Hälfte seiner Studien den Lehren und Vorschriften der Kirche widmen. Die andere Hälfte galt dem Dienen. Zum Dienen gehörte Gartenarbeit, Etikette, Stoffpflege, Putzen, Zimmerhandwerk, Nähen, Tiere, Rechnen, Fleckenentfernung und Toleranz.
    Nach den Regeln für das Leben in der Außenwelt musste man den Kirchenältesten jede Woche eine schriftliche Beichte schicken. Man durfte keine Süßigkeiten essen. Trinken und rauchen war verboten. Man hatte jederzeit sauber und ordentlich aufzutreten. Man durfte keinerlei per Funk übertragene Formen von Unterhaltung genießen. Man durfte keine sexuellen Beziehungen haben.
    Lukas, Kapitel zwanzig, Vers fünfunddreißig:
    »… welche aber würdig sein werden … die werden weder freien noch sich freien lassen.«
    Die Kirchenältesten der Credisten stellten den Zölibat als so einfach dar wie die Entscheidung, freiwillig auf Baseball zu verzichten.
    Sag einfach Nein.
    Es gab unendlich viele Regeln. Gott behüte, dass man jemals tanzte. Oder raffinierten Zucker aß. Oder sang. Aber die wichtigste Regel war immer die:
    Wenn die Mitglieder der Kirchenkolonie von Gott gerufen wurden, sollten sie frohlocken. Wenn die Apokalypse bevorstand, sollten alle Credisten feiern und sich Gott befehlen, Amen.
    Dem hatte man zu folgen.
    Gleichgültig, wie weit man weg war. Gleichgültig, wie lange man bereits außerhalb der Kirchenkolonie gearbeitet hatte. Da Radiohören und Fernsehen untersagt war, konnte es Jahre dauern, bis alle Kirchenmitglieder von der Erlösung erfuhren. So wurde das von der Kirche genannt: die Erlösung. Die Flucht nach Ägypten. Die Flucht aus Ägypten. In der Bibel laufen die Leute ständig von einem Ort zum andern.
    Man erfuhr es vielleicht erst nach Jahren, aber sobald man es erfuhr, musste man sich eine Schusswaffe besorgen, Gift schlucken, sich ertränken, erhängen, aufschlitzen oder aus dem Fenster springen.
    Man musste sich dem Himmel schenken.
    Und deswegen tauchten da drei Polizisten und die Sozialarbeiterin auf, um mich abzuholen.
    »Ich habe keine angenehme Nachricht für Sie«, sagte der Polizist, und schon wusste ich, dass ich zurückgelassen worden war.
    Die Apokalypse war gekommen, die Erlösung, und all meine Arbeit und all das Geld, das

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