Flug 2039
Wand neben ihr, hört aber gleich wieder damit auf. Sie sieht sich ihr Werk an und schrubbt dann noch ein bisschen. Wieder starrt sie hin.
»Du liebe Zeit«, sagt sie. »Das geht ja wirklich. Sehen Sie nur, wie sauber das wird.« Die Füße noch immer im Badewasser, dreht sie sich herum, um besser an die Wand heranzukommen, und schrubbt weiter. »Gott, ich wusste gar nicht mehr, wie gut es tut, etwas zu leisten.«
Sie merkt nicht, dass ich mit meiner Arbeit aufgehört habe. Ich hocke auf den Fersen und sehe ihr zu, wie sie sich über den Schimmel hermacht.
»Also«, sagt sie und schrubbt im Zickzack die Fugen zwischen den kleinen blauen Kacheln.
»Vielleicht stimmt das alles ja gar nicht«, sagt sie, »aber es soll nur zu Ihrem Besten sein. Es könnte nämlich demnächst ein klein wenig gefährlich für Sie werden.«
Eigentlich dürfe sie mir das nicht erzählen, aber einige Selbstmorde von Überlebenden seien ein bisschen verdächtig. Die meisten Selbstmorde scheinen okay zu sein. Bei der Mehrheit handelt es sich um normale Feld-, Wald- und Wiesenselbstmorde, sagt sie, aber einige Fälle sind schon etwas seltsam. Zum Beispiel ein Rechtshänder, der sich mit der linken Hand erschossen hat. Und eine Frau, die sich mit dem Gürtel ihres Bademantels erhängt hat, dabei aber einen Arm ausgerenkt und Blutergüsse an beiden Handgelenken hatte.
»Das waren aber nicht die einzigen derartigen Fälle«, sagt die Sozialarbeiterin, die immer noch schrubbt. »Es scheint da ein Muster zu geben.«
Anfangs haben die Kollegen das nicht beachtet, sagt sie. Selbstmorde sind Selbstmorde, besonders in dieser speziellen Bevölkerungsgruppe. Selbstmorde treten bei dieser Klientel stets gehäuft auf. Massenhaft. Einige wenige zu Anfang ziehen gleich zwanzig oder mehr nach sich. Wie die Lemminge.
Der Notizblock rutscht ihr vom Schoß und fällt auf den Boden. »Selbstmord ist eben sehr ansteckend«, sagt sie.
Das Muster dieser neuen falschen Selbstmorde sehe so aus, dass sie vermehrt dann auftreten, wenn die Häufigkeit natürlicher Selbstmorde absackt.
Was soll das sein, falsche Selbstmorde?, frage ich.
Ich nehme einen Schluck von ihrem Martini; das Zeug schmeckt seltsam, wie Mundwasser.
»Mord«, sagt sie. »Möglicherweise tötet jemand Überlebende und versucht, es wie Selbstmord aussehen zu lassen.«
Wenn die Zahl der echten Selbstmorde zurückgeht, scheinen die Morde den Ball wieder ins Rollen zu bringen. Nach zwei, drei Morden, die wie Selbstmorde aussehen, wirkt Selbstmord wieder frisch und attraktiv, und schon greifen ein Dutzend Überlebende den Trend auf und machen sich vom Acker.
»Man könnte sich leicht einen Mörder vorstellen, entweder einen Einzeltäter oder ein Todeskommando von Kirchenmitgliedern, die dafür sorgen wollen, dass Sie alle im Himmel zusammenkommen«, sagt die Sozialarbeiterin. »Das klingt vielleicht blöd und paranoid, wäre aber doch völlig logisch.«
Die Erlösung.
Und warum fragt sie mich das alles?
»Weil immer weniger Überlebende sich noch umbringen«, sagt sie. »Die natürliche Trend hinsichtlich normaler Selbstmorde nimmt ab. Wer auch immer dahinter steckt, wird jetzt wieder zu morden anfangen, um die Selbstmordrate nach oben zu treiben. Die Morde nach diesem Muster sind übers ganze Land verbreitet«, sagt sie. Sie schrubbt mit der Zahnbürste. Sie taucht sie in das Glas mit Ammoniak. Die qualmende Zigarette in einer Hand, schrubbt sie mit der anderen weiter. »Außer dem zeitlichen Zusammenhang gibt es kein weiteres Muster«, sagt sie. »Die Opfer sind Männer. Frauen. Junge. Alte. Sie müssen auf sich aufpassen, Sie könnten nämlich leicht der Nächste sein.«
Die einzige neue Bekanntschaft, die ich seit Monaten gemacht habe, ist Fertility Hollis.
Ich frage die Sozialarbeiterin, die ja immerhin eine Frau ist: Was erwarten Frauen von einem Mann? Wie soll er aussehen? Was erwarten sie von ihm als Sexualpartner?
Sie hat einen sauberen weißen Zickzackpfad in die Fugen geschrubbt.
»Andererseits bleibt zu bedenken«, sagt die Sozialarbeiterin, »dass das Ganze auch eine natürliche Erklärung haben könnte. Vielleicht will Sie ja gar niemand töten. Vielleicht gibt es da auch nichts, wovor Sie Angst haben müssten.«
Kapitel 38
Zu meinem Job gehören auch Gartenarbeiten. Zuerst sprühe ich alles, sowohl Unkraut als auch die richtigen Blumen, mit dem Zweifachen der empfohlenen Giftmenge ein. Dann bringe ich die Beete mit den künstlichen Blumen in Ordnung, Salbei und
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