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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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eigenen Bruder erkennen.
    »Das war ja das Traurige«, sagt Fertility. »Er hat ihn erkannt. Er hat sogar einen Namen genannt, Brad oder Tim oder so was.«
    Adam.
    Ich sage: Und warum ist das traurig?
    »Weil die Lüge so offensichtlich und kläglich war«, sagt sie. »Er versucht ganz eindeutig, als normaler glücklicher Mensch aufzutreten. Das war so traurig, dass ich ihm sogar meine Telefonnummer gegeben habe. Also, ich will ihm irgendwie helfen, seine Vergangenheit zu akzeptieren. Außerdem«, sagt Fertility, »habe ich das Gefühl, dass er gewaltig in der Scheiße steckt.«
    Was denn für eine Scheiße, frage ich. Wie meint sie das?
    »Unglück«, sagt sie. »Das Ganze ist noch ziemlich undeutlich für mich. Katastrophen. Schmerzen. Massenmord. Frag mich nicht, woher ich das weiß. Das ist eine lange Geschichte.«
    Ihre Träume. Die Tankstelle, die Kanarienvögel, der Kronleuchter im Hotel, und jetzt ich.
    »Pass auf«, sagt sie. »Wir müssen noch besprechen, wie wir uns mal treffen können. Aber nicht jetzt.«
    Warum?
    »In meinem schlimmen Job geht es zur Zeit ziemlich hoch her. Falls also jemand bei dir anruft, der sich Dr. Ambrose nennt, und dich fragt, ob du Gwen kennst, sag einfach, du kennst mich nicht. Sag ihm, wir sind uns noch nie begegnet, okay?«
    Gwen?
    Ich frage: Wer ist Dr. Ambrose?
    »Das ist nur sein Name«, sagt Fertility. Sagt Gwen. »Er ist kein richtiger Arzt, glaube ich. Eher so was wie mein Manager. Eigentlich will ich das gar nicht machen, aber ich habe einen Vertrag mit ihm.«
    Ich frage, was das für ein Vertrag ist.
    »Nichts Illegales. Ich hab das alles unter Kontrolle. So ziemlich.«
    Was denn?
    Sie sagt es mir, und dann gehen die Alarmglocken und Sirenen los.
    Ich fühle mich immer kleiner.
    Die Alarmglocken und Blaulichter und Sirenen sind überall.
    Ich fühle mich immer weniger.
     
    Hier im Cockpit von Flug 2039 ist soeben der erste der vier Motoren ausgegangen. Wir sind am Anfang vom Ende.

Kapitel 31
    Zu den Aufgaben der Sozialarbeiterin bei der Selbstmordprävention gehört es auch, dass sie mir noch einen Gin Tonic mixt. Ich führe unterdessen ein Ferngespräch. Auf Leitung zwei wartet ein Produzent der Dawn Williams Show. Sämtliche Leitungen blinken. Ein Mitarbeiter der Talkshow von Barbara Walters wartet auf Leitung drei. Ich muss vor allen Dingen jemanden finden, der mir diese Telefonate abnimmt. Der Stapel Frühstücksgeschirr in der Spüle wäscht sich nicht von allein.
    Ich muss vor allen Dingen einen guten Agenten finden.
    Die Betten oben sind noch nicht gemacht.
    Der Garten muss neu gestrichen werden.
    Dieser eine Topagent am Telefon reitet auf der Frage herum, was, wenn ich nun nicht der einzige Überlebende wäre. Ich sage, es kann aber nicht anders sein. Die Sozialarbeiterin würde nicht auf einen Gin Tonic zum Frühstück vorbeikommen, wenn es letzte Nacht nicht wieder einen Selbstmord gegeben hätte. Hier auf dem Küchentisch liegen die Akten mit den Fallgeschichten aller anderen ausgebreitet.
    Das ganze staatliche Hilfsprogramm für Überlebende ist ein Fehlschlag, könnte man sagen. Wenn hier jemand Selbstmordprävention braucht, dann ist es die Sozialarbeiterin, die mir einen Gin Tonic nach dem anderen mixt.
    Damit ich mich nicht vom Acker mache, lässt sie mich nicht aus den Augen. Um sie abzulenken, gebe ich ihr eine Limone, die sie in Scheiben schneiden soll. Holen Sie mir Zigaretten. Mixen Sie mir noch einen Drink, sage ich, oder ich bringe mich um. Ich schwör’s. Ich gehe ins Bad und hacke mir mit einem Rasiermesser alle Venen auf.
    Die Sozialarbeiterin stellt mir einen frischen Gin Tonic auf den Küchentisch und fragt, ob ich nicht helfen will, ein paar Leichen zu identifizieren. Das soll mir helfen, endgültig Abschied zu nehmen. Immerhin, sagt sie, seien das meine Leute, mein Fleisch und Blut. Meine Verwandten.
    Sie breitet wieder einmal die zehn Jahre alten amtlichen Fotos auf dem Tisch aus. Hunderte von Toten, Schulter an Schulter auf dem Boden aufgereiht, starren mich an. Alle haben vom Zyankali schwarze Flecken auf der Haut. Sie sind so aufgedunsen, dass sie aus den dunklen, selbst genähten Kleider zu quellen scheinen. Asche zu Asche. Staub zu Staub. Schnell und unkompliziert sollte dieser Verfall eigentlich ablaufen, tut er aber nicht. Die Leichen dort sind steif und stinken. Damit versucht die Sozialarbeiterin meine Gefühle in Gang zu bringen. Ich verdränge meine Trauer, sagt sie.
    Ob ich mich nicht aufraffen könne, diese Toten zu

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