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Flug 2039

Flug 2039

Titel: Flug 2039 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Außenwelt unsichtbar. Vom Finanzamt wurde die Kirche nicht behelligt. Nach der Kirchenlehre gab es nichts Edleres, als einfach seine Arbeit zu tun und zu hoffen, dass man lange genug lebte, um der Kolonie einen riesigen Profit einzufahren. Der ganze Rest des Lebens sollte als Last empfunden werden: anderen Leuten die Betten machen. Anderer Leute Kinder versorgen. Für andere Leute Essen kochen.
    In alle Ewigkeit.
    Arbeit ohne Ende.
    Der Plan sah vor, nach und nach ein credistisches Paradies zusammenzubringen, indem Hektar für Hektar die ganze Welt aufgekauft wurde.
    Bis die FBI-Wagen die amtlichen hundert Meter vom Versammlungshaus der Kirchenkolonie entfernt zum Stillstand kamen. Dem offiziellen Untersuchungsbericht zu dem Massaker nach regte sich kein Lüftchen. Nicht ein Geräusch drang aus der Kirche.
    Der Agent redet von: Erweckungskassetten.
    Der Agent redet von: Caesar’s Palace.
    Seitdem wurden die Credisten von jedermann der »alttestamentarische Todeskult« genannt.
    Der Zigarettenrauch erstickt mich über den Punkt hinaus, an dem meine Kehle ihn noch zurückschicken könnte, und macht sich in meinem Brustkasten breit. In den Akten der Sozialarbeiterin sind die Nachzügler dokumentiert. Hilfsprogrammklientin Nummer dreiundsechzig, Biddy Patterson, Alter etwa neunundzwanzig, tötete sich drei Tage nach dem Vorfall in der Kirchenkolonie durch Aufnahme von Reinigungsmitteln.
    Hilfsprogrammklient Tender Smithson, Alter fünfundvierzig, tötete sich durch Sprung aus einem Fenster des Gebäudes, in dem er als Hausmeister arbeitete.
    Der Agent redet von: Meine eigene 0190-Heils-Hotline.
    Der dicke heiße Rauch in mir fühlt sich an, wie es sich anfühlen würde, wenn ich eine Seele hätte.
    Der Agent redet von: Meine eigene Werbeshow.
    Die Leute alle schwarz und aufgedunsen. Lange Reihen von Leuten, die das FBI tot aus dem Versammlungshaus getragen hat; dort liegen sie nun, schwarz vom Zyankali in ihrer letzten Kommunion. Das sind die Leute, die, was auch immer sie zu erwarten glaubten, lieber gestorben waren, als sich diesem zu stellen.
    Sie starben als geschlossene Masse und hielten sich dabei so fest an den Händen, dass das FBI ihre toten Finger aufbrechen musste, um sie auseinander zu nehmen.
    Der Agent redet von: Superstar.
    Die Kirchenlehre verlangt, dass ich jetzt, während die Sozialarbeiterin nicht da ist, aus dem Geschirr in der Spüle ein Messer nehmen und mir die Luftröhre aufschlitzen soll. Oder mein Gedärm auf den Küchenboden klatschen lasse.
    Der Agent sagt, er regele die Sache mit der Dawn Williams Show und Barbara Walters.
    Unter den Ordnern mit den Verstorbenen ist eine Akte mit meinem Namen drauf. Ich schreibe hinein:
    Hilfsprogrammklient Nummer vierundachtzig hat alle verloren, die er jemals geliebt hat, und alles, was seinem Leben einen Sinn gegeben hat. Er ist erschöpft und schläft die meiste Zeit. Seit neuestem trinkt und raucht er. Er hat keinen Appetit. Er badet selten und hat sich seit Wochen nicht mehr rasiert.
    Vor zehn Jahren war er das immer fleißige Salz der Erde. Er hatte nur den Wunsch, in den Himmel zu kommen. Heute sitzt er hier, und alles, wofür er in der Welt gearbeitet hat, ist verloren. Alle seine äußeren Regeln und Kontrollmechanismen sind fortgefallen.
    Es gibt keine Hölle. Es gibt keinen Himmel.
    Und doch dämmert es ihm gerade, dass jetzt alles möglich ist.
    Jetzt will er alles.
    Ich schließe die Akte und schiebe sie in den Haufen zurück.
    Nur unter uns beiden, sagt der Agent – ob ich mich womöglich auch bald vom Acker machen werde?
    Aus dem Gin Tonic starren mich die versunkenen Gesichter aller Menschen aus meiner Vergangenheit an, die Toten auf den amtlichen Fotos unter dem Boden des Glases. Nach Augenblicken wie diesem ist das Leben nur noch phantastisch.
    Ich schenke mir nach.
    Ich zünde mir die nächste Zigarette an.
    Ehrlich, mein Leben hat kein Ziel mehr. Ich bin frei. Erstens. Und zweitens erbe ich demnächst achttausend Hektar von Nebraska.
    Bei dem Gedanken fühle ich mich genau wie vor zehn Jahren, als ich mit der Polizei in die Stadt fuhr. Und wieder bin ich schwach. Und Minute um Minute entferne ich mich weiter vom Heil, hinein in die Zukunft.
    Mich umbringen?
    Vielen Dank, sage ich. Nein, danke.
    Wir wollen doch nichts überstürzen.

Kapitel 30
    Den ganzen Vormittag lang muss ich der Polizei erklären, dass die Sozialarbeiterin noch gelebt und die Ziegelsteine um den Kamin im Arbeitszimmer geschrubbt hat, als ich gegangen bin.

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