Flug 2039
ein berühmter gefeierter prominenter geistiger Führer zu sein. Als ob diese Leute, während sie im Fernsehen die Nachrichten sehen und den Stab über mich brechen, nicht schon wieder nach einem neuen Guru suchen würden, der der risikofreien Langeweile ihres Lebensstils einen Sinn verleihen soll. So etwas brauchen die Leute, ein Händchen, das sie halten können. Zur Beruhigung. Das Versprechen, dass alles gut werden wird. Das ist alles, was sie von mir wollen. Von mir, dem geplagten, verzweifelten, berühmten Ich. Dem überlasteten Ich. Keiner von diesen Leuten hat einen blassen Schimmer, was es heißt, ein großes glamouröses großes charismatisches großes Vorbild zu sein.
Nach hundertdreißig Stockwerken Treppensteigen fängt man an zu phantasieren, zu geifern, in Zungen zu reden.
Nicht dass irgendjemand außer vielleicht Fertility etwas von
der tagtäglichen Anstrengung weiß, die es mich gekostet hat, so weit zu kommen.
Stellt euch vor, wie ihr euch fühlen würdet, wenn euer ganzes Leben zu einer Verrichtung werden würde, die ihr nicht ausstehen könnt.
Nein, jeder meint, sein Leben solle wenigstens so viel Spaß machen wie Masturbation.
Das würde ich gern mal sehen, wie diese Leute sich anstellen würden, wenn sie im Hotel nur noch kalorienarmen Zimmerservice beanspruchen dürfen, aber gleichzeitig der Welt halbwegs überzeugend vorspielen sollen, sie lebten in tiefem inneren Frieden mit sich selbst und seien eins mit Gott.
Wenn man berühmt wird, ist Essen keine Mahlzeit mehr, sondern fünfhundert Gramm Protein, dreihundert Gramm Kohlenhydrate, salzfreier, fettfreier, zuckerfreier Brennstoff. Und das nimmt man alle zwei Stunden zu sich, sechsmal am Tag. Essen ist kein Essen mehr. Sondern Proteinaufnahme.
Zellverjüngungscreme. Waschen ist Peeling. Das gute alte Atmen ist Respiration.
Ich würde als Erster gratulieren, wenn irgendwer es besser hinkriegen würde, makellose Schönheit vorzutäuschen und schwammige inspirierende Sprüche abzulassen:
Entspannt euch. Atmet tief ein. Das Leben ist schön. Seid gerecht und freundlich. Lebt die Liebe.
Als ob.
Bei den meisten Veranstaltungen wurden mir solch tiefsinnige Bemerkungen und Bekenntnisse dreißig Sekunden bevor ich auf die Bühne ging von den Redenschreibern ausgehändigt. Das stille Gebet zu Beginn diente allein diesem Zweck. Es gab mir auf dem Podium eine Minute Zeit, den Blick zu senken und meinen Text zu überfliegen.
Fünf Minuten vergehen. Zehn Minuten. Die 400 Milligramm Deca-Durabolin und Testosteroncypionat, die man dir eben hinter der Bühne gespritzt hat, lagern noch als kleines Kügelchen in der Haut deines Hinterns. Die fünfzehntausend zahlenden Gläubigen knien mit gesenkten Häuptern vor dir. Die Chemikalien strömen dir ins Blut wie ein Krankenwagen, der durch eine stille Straße brettert.
Ich habe mich darauf verlegt, auf der Bühne liturgische Gewänder zu tragen, weil man sich, wenn man genug Boldenon im Blut hat, die Hälfte der Zeit wie Holzwolle fühlt.
Fünfzehn Minuten vergehen, und alle diese Leute knien immer noch.
Und wenn du bereit bist, sag es einfach, das Zauberwort.
Amen.
Und ab geht die Post.
»Ihr seid Kinder des Friedens in einem Universum ewigen Lebens und grenzenloser Liebe und Wonne, bla bla bla. Gehet hin in Frieden.«
Woher die Redenschreiber diesen Krempel nehmen, ist mir schleierhaft.
Unerwähnt lassen will ich die Wunder, die ich im Fernsehen gewirkt habe. Mein kleines Halbzeitwunder während des Superbowls. All die Katastrophen, die ich geweissagt habe, die Leben, die ich gerettet habe.
Ihr kennt den alten Spruch: Es zählt nicht, was man weiß.
Sondern wen man kennt.
Die Leute denken, es sei ganz einfach, ich zu sein und vor ein Stadion voller Menschen zu treten und ihnen was vorzubeten und dann in einen Jet geschnallt gleich wieder zum nächsten Stadion zu fliegen und dabei die ganze Zeit eine kraftvolle, gesunde Fassade zu bewahren. Ach was, aber die gleichen Leute nennen einen trotzdem verrückt, wenn man ein Flugzeug entführt. Die haben keine Ahnung von kraftvoller, dynamischer, gesunder Kraft.
Sollen sie ruhig versuchen, genug von mir für eine Autopsie zu finden. Es geht keinen was an, ob meine Leberfunktion beeinträchtigt ist. Oder ob vielleicht Milz und Gallenblase durch die Wirkungen von Wachstumshormonen übermäßig vergrößert sind. Als ob sie selbst sich nicht jeden aus den Hypophysen von Kadavern gewonnenen Tropfen injizieren würden, wenn sie glaubten, sie könnten
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