Flug 2039
ist es, die Menge in Ekstase zu bringen.
»In einen naturalistischen Trancezustand«, sagt der Agent.
Der Agent nimmt ein braunes Fläschchen aus der Tasche seines Blazers. »Falls Sie irgendwelche Gefühle entwickeln«, sagt er, »nehmen Sie zwei Endorphinol.«
Ich sage, er soll mir eine Hand voll geben.
Zur Vorbereitung des heutigen Abends sind Mitarbeiter von Haus zu Haus durch die Stadt gezogen und haben Gratiskarten für die Show verteilt. Das erzählt mir der Agent nun schon zum hundertsten Mal. Sind die Mitarbeiter einmal im Haus drin, bitten sie, die Toilette benutzen zu dürfen, um dort dann alles zu notieren, was sie im Medizinschrank finden. Dem Agenten zufolge hat das auch der Prediger Jim Jones getan und damit für seinen Peoples’s Temple wahre Wunder gewirkt.
Wunder ist vielleicht nicht das richtige Wort.
Auf der Kanzel liegt eine Liste von mir unbekannten Leuten samt ihren lebensbedrohlichen Krankheiten.
Mrs. Steven Brandon, muss ich dann nur rufen. Kommen Sie nach vorn, und lassen Sie Ihre versagenden Nieren von Gott berühren.
Mr. William Doxy, kommen Sie nach vom, und legen Sie Ihr krankes Herz in Gottes Hände.
Während meiner Ausbildung habe ich gelernt, wie man jemandem die Finger fest und schnell in die Augen drückt, sodass der Druck auf den Sehnerv als greller weißer Blitz wahrgenommen wird.
»Göttliches Licht«, sagt der Agent.
Während der Ausbildung habe ich auch gelernt, jemandem die Hände so fest auf die Ohren zu pressen, dass er ein Summen hört. Das sei das ewige Om, kann ich ihm dann erklären.
»Los«, sagt der Agent.
Ich habe meinen Einsatz verpasst.
Auf der Bühne brüllt der Eröffnungsprediger den Namen Tender Branson ins Mikrofon. Der Einzige, der Unvergleichliche, der letzte Überlebende, der große Tender Branson.
»Warten Sie«, sagt der Agent. Er nimmt mir die Zigarette aus dem Mund und schiebt mich in den Gang. »Und jetzt gehen Sie«, sagt er.
Tausend Hände strecken sich in den Gang, um mich zu berühren. Die Scheinwerfer tauchen die Bühne in grelles Licht. In der Dunkelheit um mich herum lächeln tausend verzückte Menschen, die sich einbilden, mich zu lieben. Ich brauche bloß ins Scheinwerferlicht zu gehen.
Das Ganze ist Sterben ohne Regelmechanismen.
Die schwere Pistole in der Hosentasche schlägt mir gegen die Hüfte.
Diese Leute sind Angehörige, die einem nicht angehören. Verwandte, mit denen man nicht verwandt ist.
Die Scheinwerfer heizen die Bühne.
Man wird geliebt, ohne dass man irgendwen zurücklieben muss.
Ich fand, das sei der ideale Augenblick zum Sterben.
Es war nicht der Himmel, aber ich war so nah dran wie nur möglich.
Ich hob die Arme, und alles brach in Jubel aus. Ich senkte die Arme, und alles wurde still. Der Redetext lag auf dem Podium bereit, ich musste ihn nur ablesen. Die getippte Liste sagte mir, wer da im Dunkeln woran litt.
Aller Blut war alkalisch. Aller Herzen lagen mir zu Füßen. Als Ladendieb hatte ich mich ähnlich gefühlt. Als Beichtvater an meinem Krisentelefon hatte ich mich ähnlich gefühlt. Und Sex stellte ich mir auch so vor.
Mit den Gedanken bei Fertility, begann ich die Rede vorzulesen.
Wir alle sind göttliche Produkte der Schöpfung.
Jeder einzelne von uns ist ein Teil dessen, das in seiner Gesamtheit etwas Schönes ist.
Und immer wenn ich eine Pause einlegte, hielten die Leute den Atem an.
Das Geschenk der Liebe, lese ich ab, ist etwas Kostbares.
Ich lege die Hand auf die geladene Pistole in meiner Tasche.
Das kostbare Geschenk des Lebens müsse bewahrt werden, so mühsam und sinnlos dies auch erscheinen möge. Frieden, sagte ich, ist ein so vollkommenes Geschenk, dass nur Gott allein es gewähren dürfe. Ich sagte den Leuten, nur Gottes selbstsüchtigste Kinder würden Gottes großartigstes Geschenk stehlen, sein einziges Geschenk, das noch großartiger sei als das Leben. Das Geschenk des Todes.
Dies rufe ich dem Mörder zu, sagte ich. Dem Selbstmörder. Dem Abtreiber. Dem Kranken und Leidenden.
Nur Gott hat das Recht, seine Kinder mit dem Tod zu überraschen.
Was ich da sagte, wurde mir erst klar, als es schon zu spät war. Vielleicht war es Zufall, oder aber der Agent wusste, was ich im Sinn hatte, als ich ihn bat, mir eine Pistole und Munition zu besorgen; jedenfalls war es so, dass dieser Redetext meinen ganzen Plan über den Haufen warf. Unmöglich, so etwas vorzulesen und sich dann umzubringen. Das hätte nun wirklich einen zu dummen Eindruck gemacht.
Also habe ich mich
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