Flugrausch
schrill, als sie sprach. »Sie haben doch gesagt, er hat drei Menschen erschossen. Glauben Sie wirklich, er würde hier in der Gegend bleiben? Der ist längst über alle Berge.«
»Aber wohin, Mrs. Munro?«, warf Challis ein. Er redete leise und ruhig, aber Aileen Munro war immer noch ganz aufgeregt.
»Woher soll ich das wissen? Wir sind nie irgendwohin gegangen. Wir sind immer zu Hause geblieben – ich zumindest. Woher soll ich also wissen, wo er hin ist?«
Challis nickte. Sutton sagte: »Wie Sie wissen, gehen wir davon aus, dass Ian am hintersten Ende des Grundstücks letztes Jahr Marihuana angebaut hat. Es wachsen dort zwar keine Pflanzen mehr, und wir haben auch in dem Schuppen nichts gefunden, was auf einen Anbau hinweist – keine trocknenden Pflanzen, keine Büschel trockener Blätter –, aber vielleicht können Sie uns sagen, wem er …«
Sie ließ ihre Fäuste schwer in ihren Schoß fallen. »Ich weiß von überhaupt nichts. Warum hören Sie mir nicht zu?«
Challis glaubte ihr. Sie wirkte zutiefst überrascht. »Hatte Ian irgendetwas mit den Pearces zu tun, Aileen?«
»Nein. Soweit ich weiß, kannte er sie nicht, hat auch nie mit ihnen gesprochen.«
»Und er hat nie davon gesprochen, es Pearce heimzuzahlen, dass er ihn bei der RSPCA angeschwärzt hatte?«
Aileen Munro schnappte nach Luft. »Der war das?«
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass er einen anonymen Anruf getätigt hat.«
»Aber woher sollte Ian denn wissen, dass Pearce ihn verpfiffen hat, wenn es anonym war?«
Da ist was dran, dachte Challis.
»Und der Anwalt?«, fragte er sanft.
Aileen machte ein mürrisches Gesicht und schaute weg. »Ian hatte in der Vergangenheit mal mit ihm zu tun. Hat ihn gehasst. Er hat öfter mal davon gesprochen, es ihm heimzuzahlen, weil er ihn so hat hängen lassen.«
Sie schwiegen. Challis bemerkte jetzt erst, dass Aileen Munros Strickjacke falsch zugeknöpft war und die Knöpfe nicht dieselbe Farbe und Form hatten.
Scobie räusperte sich. »Sonst noch jemand, den Ihr Mann nicht leiden konnte, Aileen?«
Sie sah ihn voller Verachtung an – sie verachtete die Situation, nicht Sutton – und sagte: »Nennen Sie mir einen Namen, irgendeinen. Zehn zu eins, dass mein Mann was gegen ihn hatte. Im Hassen war er gut. Ist er gut.«
»Um noch mal auf das Marihuana zurückzukommen, Aileen, ich …«
»Ich hab Ihnen doch schon gesagt, ich weiß nichts. Ich könnte einen Marihuanastrauch nicht erkennen, und wenn ich über ihn stolpere.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Challis. »Aber vermutlich hat Ihr Mann das Zeug geerntet und verkauft. Von wem hatte er die Samen oder Setzlinge? Wer hat die Ernte gekauft? Gab es irgendwann mal ungewöhnlichen Besuch? Anrufe? Briefe? Rätselhafte Reisen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Niemand kommt zu Besuch.« Ihre Stimme klang ganz hohl. »Früher mal, da haben uns die Leute besucht. Aber jetzt nicht mehr.« Sie schaute in Richtung Haupttor und der dort versammelten Reporter. »Jetzt haben wir Hunderte von Besuchern, aber nicht die, die man will. Verdammte Blutsauger, ich halt das bald nicht mehr aus.«
Challis fiel auf, wie leise es im Haus war. »Wo sind denn Ihre Kinder, Mrs. Munro?«
Sie sah ihn erstaunt an. »In ihren Zimmern. Die Kinder in der Schule …« Sie verhärmte sichtlich. »Sie werden ihnen keine Fragen stellen. Unter gar keinen Umständen.«
»Nein, nein«, versicherte Challis. Er hielt inne. »Wissen die Kinder, was passiert ist?«
»Lassen Sie sie in Ruhe.«
»Sie sind sehr still«, sagte Challis und erstarrte. Er warf Sutton einen Blick zu, stand auf und verließ schnell das Zimmer.
Hinter sich hörte er Aileen jammern: »Wo geht er hin?«
»Er kommt sofort wieder, Aileen«, sagte Sutton beruhigend.
Challis fand die Kinder in einem großen Zimmer, in dem drei Betten an den Wänden standen. Die beiden älteren spielten still am Computer, man hörte nur ihre Atemzüge und das Klappern der Tastatur. Das jüngste Kind saß ruhig da und malte. Das Mädchen zuckte zusammen und schaute auf, als er zur Tür hereinkam. Wer schlug sie, fragte sich Challis. Hatte sie einen Augenblick lang geglaubt, ihr Vater stünde in der Tür?
Challis wurde sich seiner Körpergröße bewusst, ging zu dem kleinen Mädchen, setzte sich aufs Bett und bemühte sich zu lächeln.
»Hallo. Ich heiße Hal. Kennst du Mt. Sutton? Scobie? Er ist Roslyns Papa. Roslyn ist bei dit in der Klasse, oder?«
Das Mädchen nickte. »Ich seh ihn immer am Morgen«, sagte sie mit dünnem
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