Flugrausch
Fangkorb werfen, bis er Gefahr lief, dass sich die Blätter festsetzten. Dann harkte er die Blätter zu kleinen Haufen zusammen. Schließlich fuhr er das Laub schubkarrenweise zum Komposthaufen hinterm Haus und fluchte, als die obersten Schichten von der Schubkarre rutschten und eine Spur über den Rasen und die Schotterzufahrt legten.
Plötzlich hatte er einen Einfall: Er könnte doch Kitty Casement fragen, ob sie mit ihm morgen zur Eröffnung der Footballsaison gehen wollte, die Tigers gegen die West Coast Eagles im Melbourne Cricket Ground. Sie hatte mal erwähnt, dass ihr Mann nur selten mit ihr ausging und eigentlich ständig vor dem Bildschirm hockte. Doch Challis ließ diesen Gedanken sofort wieder fallen. Kitty würde sowieso nicht mitkommen. Sie würde sich fragen, warum er überhaupt gefragt hatte, seine Absichten würden jedem sofort ins Auge springen, und der Ehemann würde sich sofort fragen: Was läuft denn hier ab?
Besser, er rief Tessa an. Wenn er so weitermachte, würde er sie noch verlieren.
Dann dachte er an die lange Fahrt und den dichten Verkehr, und er fragte sich, ob er wirklich zum Football gehen wollte. Früher hatte es mal eine Zeit gegeben, als es noch was bedeutete, woher man kam. Man war für die Tigers, weil man aus dem Tigerland stammte, genau wie die Spieler. Aber damit war Schluss. Die Spieler liefen dem Geld hinterher, und eigentlich war man nur noch für künstlich zusammengeschusterte Teams.
Außerdem wusste Challis, dass er beim Football sowieso kein guter Begleiter war. Das hatte teilweise damit zu tun, dass er den Herdentrieb verabscheute, aber vor allem damit, dass seine Gedanken abschweiften und er sich in alten oder aktuellen Mordfällen verlor. In diesem gedankenversunkenen Zustand hatte er sogar schon ein, zwei Fälle gelöst, aber das machte ihn nicht gerade zu einem gesprächigen Begleiter.
Er hörte das Telefon an der Küchenwand leise fünfmal klingeln, bis der Anrufbeantworter ansprang. Er ging nicht ran, sondern wartete, und prompt vibrierte eine Minute später sein Handy in der Tasche.
»Challis.«
»Hal? Ich bins, Marg.«
Marg Quinlan, seine Schwiegermutter. »Hallo, Marg«, sagte er zögernd.
»Es ist wegen Angela.«
»Das hab ich mir schon gedacht.«
»Es geht ihr nicht gut.«
Challis sagte nichts, obwohl er wusste, dass er es seiner Schwiegermutter, die das eigentlich nicht verdient hatte, dadurch nicht leichter machte, aber er konnte nicht anders.
»Ich glaube, es würde sie aufmuntern, wenn du sie besuchen würdest«, sagte Marg verzweifelt.
»Na gut«, willigte Challis mürrisch ein, wie immer.
»Ach Hal, danke, ich weiß, wie schwer das für dich ist, aber Bob und ich wissen das wirklich zu schätzen.«
»Schon in Ordnung, Marg.«
»Wir könnten uns dort treffen.«
Sie hoffte darauf, dass er nein sagen würde, lieber ginge er allein, doch Challis musste sie enttäuschen. »Danke, das wäre sehr lieb.«
»Oh. Würde es dir morgen passen?«
»Am Nachmittag.«
»Nachmittag. Ja. Gut. Gegen zwei?«
Also traf sich Challis am nächsten Tag gegen zwei Uhr, als gerade das Spiel der Tigers gegen die West Coast Eagles angepfiffen wurde, mit seinen Schwiegereltern im Warteraum des Frauengefängnisses am Rande der Stadt. Er fand es dort deprimierend. Die wenigen Ehemänner oder Freunde sahen alle aus wie Männer, die mit Kindern und Verantwortungen belastet waren, die sie am liebsten abschütteln wollten. Wie üblich warteten auch ein paar junge Frauen draußen – Schwestern, Freundinnen, Lebensgefährtinnen. Dazu noch ein, zwei ältere Leute, Großeltern vielleicht, und Paare wie Marg und Bob, Mitte fünfzig, Mitte sechzig, Eltern der Insassinnen.
Nicht viel Freude. Jede Menge Hoffnungslosigkeit. Und wie es schien, wussten alle dort, wer er war, oder sahen ihm den Bullen an der Nasenspitze an.
Marg umarmte und küsste ihn. Sie war eine groß gewachsene, grobknochige Frau mit einer komischen Frisur. Challis war sie immer vorgekommen wie ein nachlässig gebautes Nest, so als würde Marg es schön finden und ihre Haare absichtlich so toupieren. Sie trug Hose und Strickjacke über einer Bluse, deren Kragen unter einem Ohr mit Make-up verschmiert war. Sie sah ein wenig unordentlich aus, aber sie war ein Fels in der Brandung, voller Liebe und Güte.
Bob passte in Größe, Körperbau und Schlichtheit zu ihr. Nach und nach verlor er Haar und Gehör, und am liebsten stand er leicht abseits und schaute freundlich zu, wenn sich die anderen rings um ihn
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