Flugrausch
Stimmchen.
»Genau. Ich bin mit ihm zusammen gekommen. Wir unterhalten uns gerade mit deiner Ma.«
Das Mädchen suchte in ihren Buntstiften herum. Die meisten waren nur noch dreckige Stummel, manche waren abgekaut. Sie suchte sich einen aus und fuhr damit lustlos über das Blatt auf ihrem Zeichenblock. »Ist dein Papa zu Hause?«, fragte Challis.
Nach einer Weile schüttelte das Mädchen mit dem Kopf. Sie hörte auf zu zeichnen, ihr Kinn sank auf die Brust, und Challis spürte Scham und Verwirrung. Eine Frage noch: »Ist dein Papa nach Hause gekommen, um nach dir zu sehen?«
»Er ist weggelaufen«, antwortete das Mädchen.
29
Tankard gab nicht auf. Vielleicht sollte er Pam eifersüchtig machen? Also erzählte er ihr eine nicht ganz wahre Geschichte von einer Party, auf der er gewesen war, damals auf der Polizeiakademie.
»Ich mach mich an diese Perle ran, die Geschichte wird langsam ernst, ich fahr sie nach Hause, und sie meint: ›Leg mal deine Fetzen ab‹, also zieh ich mich langsam aus, und dann sagt sie –«
»Halt mal an!«
Verdutzt trat er fest auf die Bremse. Sie fuhren gerade am hinteren Ende der High Street Patrouille. Läden gab es hier nicht mehr viele, eine Bank, ein Pub, ein Immobilienmakler, ein anonym wirkendes zweigeschossiges Gebäude mit der Aufschrift »Lister Financial Services« auf den Fenstern. Obwohl es Freitag war, waren nicht viele Menschen unterwegs.
»Was ist denn?«, fragte Tankard und schaute auf der Suche nach Schwierigkeiten die Straße hinauf und hinunter.
Nichts zu sehen. »Was hast du denn für ’ne Hummel im Schlüpfer? Oder nennst du die Höschen? Tangas?«
»Ich muss mal kurz weg«, sagte Pam.
»Zu wem?«
»Irgendwem«, raunzte sie. »Bin in fünf Minuten wieder da.«
Dann stieg sie aus und ließ ihn in der zweiten Reihe stehen. Er schaute zu, wie sie über die Straße eilte und bei Lister Financial Services verschwand.
Tankard ließ sich in seinen Sitz sinken. An einer Straßenlaterne baumelte zerschlissene und von der Sonne ausgeblichene Weihnachtsdekoration. Es ging ein sandiger, staubiger Wind. Die Suche nach Ian Munro war nun seit drei Tagen im Gange, doch niemand in Waterloo schien sich deswegen Gedanken zu machen. Ein alter Mann kam auf einem Fahrrad vorbei, das mit Netztaschen voller Plastiktüten behängt war. Zwei Teenager lümmelten rauchend auf einer Bank vor einem heruntergekommenen Schallplattenladen, auf dessen Schaufensterscheibe eine Notiz hing: »Geschäft zu verkaufen.
Im Laden fragen.« Ein kleiner roter Golf mit einer älteren Frau am Steuer, Behindertenparkerlaubnis an der Windschutzscheibe, umkurvte vorsichtig den Streifenwagen. Tankard sah, wie sie bremste und offenkundig sehnsüchtig nach der Behindertenparkbucht vor der Bank linste.
Der Platz war besetzt.
»Echt Pech, meine Liebe«, murmelte Tankard und knackte vor Langeweile mit den Fingerknöcheln.
Irgendetwas nagte an ihm, irgendwo in einer Ecke seines Unterbewusstseins …
Tankard schaute wieder zur Bank hinüber. Das Fahrzeug auf dem Behindertenparkplatz war ein ziemlich kräftig wirkender Ford-Pickup. An dem Wagen war nichts besonders Auffälliges, nur dass er ihm aus irgendeinem Grunde fehl am Platz vorkam. Dann wusste er es: Ein Behinderter fuhr normalerweise was Leichteres, Zahmeres, einen kleinen Japaner oder einen Golf. Genauso gut könnte ein Behinderter auch einen Laster fahren.
Überprüfen Sie die Behindertenparkplätze, hatte Kellock gesagt, und John Tankard, der damals die Nase gerümpft hatte, fand nun, dass vielleicht doch was dran war an Kellocks Theorie vom Verbrecher, der selbst auf sich aufmerksam macht.
Er setzte zurück, wartete darauf, dass ein anderer Wagen abfuhr, und parkte den Polizeivan direkt neben dem F100.
Erst später ging ihm auf, dass das ein Fehler gewesen war. Es wäre allen viel Ärger erspart geblieben, wenn er so viel Verstand besessen hätte, den Van hinter den F100 zu stellen, um ihn so zu blockieren.
Er stieg aus, schlenderte zur Rückseite des großen Pick-ups und notierte sich das Kennzeichen. Dann ging er nach vorn und schaute an der Windschutzscheibe nach.
Keine Behindertenparkerlaubnis.
»Hab ich dich erwischt, Kumpel«, murmelte er zufrieden und wollte gerade zum Van zurück, um das Kennzeichen durchzugeben, als er in dem Pick-up eine Bewegung bemerkte. Er blieb stehen, machte kehrt, um genauer hinzuschauen, und sah, was er zuvor wegen der hohen Seiten der Fahrerkabine nicht gesehen hatte: Ein Mann streckte sich über den
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