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Flugrausch

Flugrausch

Titel: Flugrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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Sitz aus und zog etwas aus dem Beifahrerfußraum. Die Scheibe stand einen Spalt offen. Tankard kam näher und klopfte ans Glas.
    »Sir? Entschuldigen Sie bitte, Sir?«
    Der Mann erstarrte. Was zum Teufel tat der da? Sein Rücken, sein ausgestreckter Arm, der wuchtige Vorbau des Armaturenbretts, Tankard konnte nichts erkennen.
    Vielleicht war er tatsächlich behindert. Vielleicht war ihm seine Krücke vom Sitz gefallen.
    »Sir, ich bin Constable Tankard, und ich möchte gern mal mit Ihnen sprechen wegen …«
    Da sah er ein metallisches Funkeln, ein verirrter herbstlicher Sonnenstrahl, der sich kalt auf dem Doppellauf einer Schrotflinte spiegelte.
    Tankard schnappte nach Luft, trat zurück und versuchte zu denken. Er konnte nicht denken. Er hatte gelernt, in solchen Situationen zu denken. Er hatte gelernt, sich einem bewaffneten Verdächtigen zu nähern, seine Waffe zu zücken, zwei Schuss abzufeuern und die Waffe wieder in das Halfter zu schieben. Er hatte gelernt, rückwärts zu gehen, sich hinzuknien, umzudrehen und zu feuern, ohne zu zielen, erst mit der rechten Hand, dann mit der linken.
    Er hatte gelernt, auf den Körper zu zielen: Leib, Schultern, Kopf. Der erste Schuss konnte der letzte sein, also sollte er lieber Wirkung zeigen. Draußen auf dem Schießstand hatte Tankard regelmäßig siebenundzwanzig, achtundzwanzig Treffer bei dreißig Schuss hingelegt. Da kamen nicht allzu viele Kollegen mit.
    Er hatte auch gelernt, zumindest den Revolver aus dem Halfter zu ziehen Himmel. Die Sekunden verrannen; Hände und Verstand funktionierten nicht. Der Mund wurde ihm trocken. Ob er erst einen Warnruf abgeben sollte? Schließlich fanden seine Hände zu dem Lederband, das den Revolver im Halfter festhielt.
    Seine Finger verweigerten den Dienst, fummelten herum, bis er tatsächlich hinschauen musste, was er da tat. Als seine nervösen Finger den Knauf endlich umschlossen und Tankard wieder zu dem Mann in dem F100 schaute, war der Doppellauf bereits auf sein Gesicht gerichtet, und er starrte in die ruhigen Augen von Ian Munro.
    Er hatte noch nicht mal seine eigene Waffe gezückt.
    »Raus damit«, sagte Munro.
    »Was?« Tankards Stimme war trocken, ein Krächzen. Er versuchte es noch einmal.
    »Was?«
    »Deine Waffe, raus damit, mit zwei Fingern, und gib sie mir.«
    Tankard schluckte. Er tat wie befohlen und ließ seine Waffe durch den Fensterspalt fallen wie eine tote Maus.
    »Die Schlüssel.«
    »Was?«
    »Geh rückwärts zu deinem Van, greif rein, zieh die Schlüssel ab, oder ich puste dir den verdammten Schädel weg.«
    Tankard tat es. Er hatte keine andere Wahl, als der verächtlichen, peitschenden Stimme des Mannes zu gehorchen. Ihm war schlecht, und er wusste, dass er jetzt sterben würde.
    »Gib sie mir«, sagte Munro und schnippte mit den Fingern.
    Tankard wurde bockig. »Nein«, sagte er und ließ die Schlüssel durch einen Gullydeckel fallen.
    Munro lachte. »Du Idiot, ich wollte den Van gar nicht.«
    Wieder lachte er, warf den F100 an und legte den Rückwärtsgang ein. Die Reifen quietschten kurz auf, und schon war er verschwunden.
    Tankard nahm an, dass der Pick-up gestohlen war, aber er brauchte eine Weile, bevor er sich auf dem Revier melden und das herausfinden konnte; in der Zwischenzeit musste er sich eine Weile im Pub aufs Klo hocken, und als Pam Murphy wieder auftauchte, brachte er kein vernünftiges Wort heraus. Pam musste in die Bank gehen, wo sie schon mit einem Blutbad rechnete. Da gab es aber keins: Munro hatte sich mit dem Direktor dort angelegt, aber Tankard war offenbar gerade in dem Augenblick aufgetaucht, als er reingehen und um sich schießen wollte. Pam war es auch, die Tankard fragte, wo denn sein Dienstrevolver sei. Erst da ging ihm wirklich auf, welche Schmach er gerade erlitten hatte.

30
    Tankard war erst von den Männern der Special Operations befragt worden, was bedeutete, dass der Nachmittag fast um war, als Challis sich endlich mit ihm unterhalten hatte. Challis fuhr nach Hause; der Tag neigte sich dem Ende entgegen, und als ihn eine innere Unruhe ergriff, harkte er Laub zusammen. Sein Amberbaum trug im Frühling und Sommer schönes grünes Laub, aber auch im Herbst war er sehr schön, wenn sich die Blätter rot und golden färbten, doch nun fielen sie ab und bildeten auf dem Gras eine stumpfgelbe Matte. Ein ganzer Monat Laubharken lag vor ihm.
    Erst umkurvte er den Baum im Uhrzeigersinn auf seinem Rasentraktor und ließ die Blätter von den Scherblättern zusammensammeln und in den

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