Flurfunk (German Edition)
trennten.
Ulli Becker schaute versteinert zu, wie Kurt Saner Justus kumpelhaft auf die Schulter schlug.
»Gut gemacht, Junge! Dann werden wir mal das gute Stück abholen!«
Wir stellten uns an die Seite und schauten auf die digitale Anzeige, die auf 54 Minuten stand.
»Bei 55 geht’s los. Einfach mir hinterher.«
Zügig ging ich los, die beiden im Schlepptau, brachte sie zu ihren Plätzen und nahm die beiden Platzhopper mit.
Leider musste ich sofort wieder hinter die Bühne, sodass ich die Preisverleihung an Justus nicht sehen konnte.
Mit Gustav von Sengeland betrat ich absichtlich zu früh den Bühnenbereich, ich wollte wenigstens Justus’ Dankesrede hören.
Gerade noch rechtzeitig, denn er stand schon vorn und hatte den Preis in der Hand. Und nein, er riss die Arme nicht in die Luft. Er war eben Profi!
Wie er dastand, überglücklich und bewegt, war mir bewusst, wie viel dieser Preis ihm bedeutete. Er hatte es geschafft, ohne einen berühmten Namen oder die Unterstützung seines Vaters, ohne skandalträchtige Biografie, die seine Leistungen hintangestellt hätte, und mir wurde klar, dass gerade er den Ausrutscher mit Annabelle und den aufgetauchten Paparazzifotos bitter bereuen musste.
Justus begann, seinen Eltern, seinem Mentor und seinem Manager zu danken, zählte einige Namen auf, die ich nicht kannte, und dann sagte er laut und deutlich: »Besonderen Dank Charlotte, du weißt, wofür!«
Wusste ich nicht, aber hey, wen störte das schon? Justus hatte sich bei mir bedankt, öffentlich, was bei ihm schon fast einem Seelenstrip gleichkam.
Mein Funkgerät piepte. Felix.
»Na, habt euch wohl wieder versöhnt! Wir bekommen aber das Exklusivinterview, verstanden. Das bist du mir schuldig!«
Super, und wieder hatten alle mitgehört! Dafür hatte er Zeit, obwohl wir hier »eine verdammte Liveshow« auf die Bühne brachten. Ich würde gleich einen Zusatzpreis in der Kategorie Diskretion am Arbeitsplatz verleihen.
Tim rauschte mit seinem Rapper an mir vorbei und reckte beide Daumen in die Höhe.
»Rufus Dornbaum! So ein Hammer! Jetzt wird alles gut, Lotte!« Und weg war er.
Dafür, dass wir eine verdammt wichtige Show am Laufen hatten, funktionierte der Flurfunk erstaunlich gut.
So war das wohl beim Fernsehen. Für breaking news war immer Zeit.
Louis nahm Justus in Empfang, zerrte ihn gleich zum Presseraum, wo alle Preisträger hinmussten, um sich fotografieren und befragen zu lassen. Ich wartete auf Gustav von Sengeland.
Noch zwei Kategorien, dann war es geschafft.
Endlich die Schlussworte, eingespielte Musik, tosender Beifall und alle noch mal zum Finale auf die Bühne. Abspann laufen lassen – und geschafft!
Jubel hinter den Kulissen, erschöpfte Gesichter! Die Show war ohne Pannen verlaufen!
Erleichtert nahm ich den Knopf aus dem Ohr, legte die Funkverkabelung ab und suchte Mimi und Tim.
Ich fand Tim völlig verschwitzt auf dem Weg zum Akkreditierungsbüro, wo Mimi schon wartete.
»Das nenne ich Fernsehen! Adrenalin pur! Kommt, lasst uns zur Afterparty gehen und feiern!«
Die Aftershowparty war im gleichen Gebäude, nur ein Stockwerk höher im Prinzensaal. Ob die Verwaltung wusste, was sie sich damit angetan hatte? Feiernde Showbranche in ehrwürdigen Mauern? Ob das gut ging?
Auf dem Weg zur Party wurde natürlich Justus’ neue Identität und seine Dankesrede diskutiert.
»Mensch, Lotte! Seid ihr jetzt wieder zusammen?«
Tim war ein unverbesserlicher Romantiker.
»Nein. Langsam. Wir werden uns erst mal am Samstag treffen und uns aussprechen. Noch habe ich keine Ahnung, wie es weitergehen wird.«
»Was willst du denn, Lotte? Er hat sein Privacy-Problem erklärt, und ich finde es, ehrlich gesagt, nachvollziehbar, außerdem hat er sich bei dir öffentlich bedankt, und das mit Annabelle kannst du ja nicht ernst nehmen. Wie der auf den Fotos aussah, wusste er eh nicht mehr, mit wem er ins Taxi stieg.«
Ich wehrte ab.
»Ist ja gut. Ich möchte einfach nicht noch mal so euphorisch in etwas hineinschlittern und dann verletzt werden. Jetzt lasst uns feiern!«
Mit dem roten Bändchen kamen wir überall hinein und stürzten uns halb verhungert erst mal auf das Buffet.
Was war das alles herzallerliebst hergerichtet! Viel zu schade, um davon zu essen.
Die Drinks konnten sich aber auch sehen lassen. So mixte man Drinks! Nicht wie in Studentenbars, wo Masse statt Klasse zählte, Geschmack nebensächlich war und man dachte, einem etwas Gutes zu tun, wenn man drei Viertel Alk und einen Spritzer
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