Flurfunk (German Edition)
älteren Designer verliebt, mit dem er zwei Jahre zusammengelebt hatte. Danach gab es einige Affären, One-Night-Stands und mal mehr, mal weniger glückliche Liebeleien.
»Du wirst dich wieder verlieben, wenn erst der Richtige kommt!«, sprach Lena ihm Mut zu.
»Sehr witzig! Ich bin doch verliebt!«
Aha! Führten eigentlich alle um einen herum ein heimliches Liebesleben? Wie konnte mir das entgehen?
»In wen?«, entfuhr es Lena und mir beinahe gleichzeitig.
»Kann und will ich nicht sagen! Das ist zu kompliziert!«
War er etwa auch in Mimis geheimnisvollen Freund verknallt, der ganz zufällig auch noch bisexuell war und beide gegeneinander ausspielte, oder was war das für eine seltsame Nummer?
»Jetzt lass bitte die Mimi-Masche und pack aus. Ich demütige mich auch vor euch, und sowohl Lena als auch ich können schweigen!«
Tim blieb hart.
»Lotte, wenn ich könnte, würde ich es sagen, aber da es eh aussichtslos ist, möchte ich es nicht noch aufbauschen!«
Lena ließ aber nicht locker – offene Neugierde, ein ganz neuer Zug an ihr. »Auf was für einen Typ stehst du denn?«
»Also ich mag keine Queen. Eher so ’nen normalen, unaufgeregten Typ, also gut aussehend, charmant, mit Manieren, sprich: mein Ebenbild. Er soll souverän sein und darf nicht eins dieser isolierten Inselschwulen-Leben führen, also nicht nur schwuler Freund, schwules Fitnessstudio, schwule Bar und so weiter. Und er muss mich und vor allem meinen exquisiten Musikgeschmack zu schätzen wissen.«
Touché!
Lena sprang über ihren Schatten. »Ach Tim, leg schon ein. Die Lieder sind nur so abgenudelt, Beethovens Fünfte würde ich auch nicht mehr aushalten, wenn sie für jede Schokoladenwerbung genommen würde.«
Zögerlich legte er die CD wieder ein.
Lena, die für ihre Verhältnisse auf der Autobahn recht entspannt war, drehte lauter und sang schließlich sogar mit.
Sieh mal an, wer hätte gedacht, dass sie alle Texte kannte!
Laut singen war eine gute Ablenkung und machte zugegebenermaßen Spaß, und bevor wir uns versahen, waren wir da.
Tim hatte in Hamburg seinen Zivi gemacht und kannte sich gut aus. Er wusste auch den Weg zum Hotel.
Wir fuhren übermütig laut singend »All I am asking for is just a little respect …« und mit geöffneten Fenstern auf den Parkplatz des Hotels ein. Vor dem Hotel stand eine kleine Menschentraube. Um diese Uhrzeit? Es war schon 1 Uhr!
Mir wurde wieder mulmig. Annabelles Auftritt kam mir in den Sinn und die Frage, was Justus dazu sagen würde. Jetzt, wo wir da waren, war ich nicht mehr sicher, ob die Idee so brillant war.
Unschlüssig standen wir herum, Tim und Lena sahen mich erwartungsvoll an.
»Na, dann werde ich mal reingehen! Wartet ihr hier?«
Sie nickten, und ich wollte gerade losgehen, als jemand rief: »Justus, ist das nicht diese Charlotte?«
Annabelle! Sie stand in der Menschentraube, die sich als Filmcrew entpuppte.
Inzwischen war ich überzeugt, dass meine Idee komplett verrückt war, und fühlte mich Eves Auftritt in Justus’ Wohnung, was den Irrengrad anbelangte, sehr nahe.
Nur dass es kein Zurück mehr gab, denn Justus kam mir entgeistert entgegen.
»Charlotte? Was machst du denn hier? Ist was passiert?«
Die gesamte Crew hatte sich umgedreht und starrte mich an, Ulli Becker eingeschlossen. Ich konnte hören, wie sie zu Annabelle »Was macht die denn hier? Langsam wird sie lästig« sagte.
Mit einem Schlag wurde mir die Peinlichkeit der Situation klar. Ich kreuzte mitten in der Nacht unangemeldet in Hamburg auf, wurde von zwei Freunden begleitet, die am Auto auf mich warteten, und Justus hatte keinen blassen Schimmer.
Hoffentlich hatten sie uns nicht laut singend einfahren gehört!
»Charlotte! Wir dachten, in dem Auto säßen irgendwelche Provinzproleten, die Ausgang haben, so laut, wie die Musik war.«
Aaah! Hilfe! Warum holte mich niemand hier raus?
Ob Schlafwandeln eine gute Ausrede war?
»Sag, sind das etwa Lena und Tim, die da am Auto stehen?«
Okay. Die Schlafwandlerausrede fiel flach. Wie wäre es mit »Lena ist verletzt, hat Blutgruppe 0 negativ, und in Berlin gibt es keine passenden Spender, hilf uns!« oder »Wir waren zufällig in der Gegend …«?
»Charlotte, sag was, du machst mir Angst! Warum bist du hier?«
Warum war ich hier? Um meine Würde zu verlieren und für ewig auf der gleichen emotionalen Stufe wie Soapsternchen Eve zu stehen und eine gute Anekdote abzugeben à la »Wisst ihr noch damals diese Bekloppte, die plötzlich nachts am
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