Flurfunk (German Edition)
jetzt immer öfter mit Casper, sehr zum Missfallen seiner Eltern, wie meine Mutter mir freudig gesteckt hatte. Natürlich würde sie es nie zugeben, aber in ihrer Stimme schwang ein »Ha, so ist das eben, wenn man meine Tochter verschmäht und einer peta-Anhängerin den Vorzug gibt!«. Caspers Mutter war auch im »Wir-haben-es-geschafft«-Platinclub und traf meine Mutter dort zum Bridge, wo sie hinter vorgehaltener Hand über Lena lästerte, wobei der Platinclub offiziell natürlich nicht lästerte – wie profan –, nein, man sorgte sich höchstens, ob Lena mit so viel Etikette nicht einfach überfordert sei. »Das arme Mädchen.«
Leider konnte meine Mutter sich nicht zu sehr ins Zeug legen, war ihre Tochter doch mit Lena befreundet und wohnte mit ihr sogar zusammen und hatte sie außerdem in den langen Jahren, die sie Lena kannte, lieb gewonnen.
Lena setzte sich wieder zu mir und antwortete zögerlich: »Nee, ich bleibe hier. Casper muss noch einen Fall vorbereiten.«
»So, so! Welchem Vorstandsvorsitzenden hilft er denn heute, seinen Kopf aus der Schlinge zu bekommen?«, foppte ich Lena.
Sie sprang sofort darauf an.
»Von wegen! Stell dir vor, Casper hat neben seinem Job ein ehrenamtliches Mandat für den Kinderschutzbund übernommen. Ist das nicht genial?«
Genial waren in der Tat Lenas unermüdliche Versuche, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und bei Casper schien die Arbeit schon Früchte zu tragen.
»Na, dann machen wir es uns gemütlich! Ich habe noch Edamame zu futtern. Und zu den Sojabohnen trinken wir dann Calpico. Falls wir ’nen Eiweißschock bekommen, unterdrücken wir unsere Rufnummer und machen lustige Spaßanrufe.«
Mein Vorschlag wurde angenommen. Ich ging in die Küche, Lena zappte durch, was sehr schnell ging, denn es kamen ja nur ard, arte und 3sat in Frage. Plötzlich rief Lena: »Ich weiß auch schon, was wir heute schauen! Hast du gerade das Promo gehört? Frau Schleimiger ist heute Abend im Ersten und beehrt Drechsler.«
»Alleine? Dachte, sie sei an Justus angewachsen, damit sie sich nicht verläuft!«
Immerhin war für Unterhaltung gesorgt.
Lena packte ihr Strickzeug aus, denn angeblich war Stricken wieder en vogue , zumindest in Naturwissenschaftlerkreisen. Sie strickte an einem dicken, dunklen Fischerpulli für Casper. Da würde seine Mutter sich aber freuen, wenn der Stammhalter nicht mehr in Armani-Cashmere, sondern kratziger Wolle mit unregelmäßigen Maschen zum Essen auftauchte! Wenigstens verwendete Lena keine Wolle in Regenbogenfarben.
»Guck nicht so pikiert, Lotte. Gerade dir Nervenbündel würde stricken gut tun! Komm, strick mal ’ne Reihe!«
Sie streckte mir den halb fertigen Pulli hin, und ich tat ihr den Gefallen. War wirklich gar nicht so schlecht. Hatte was! Man war beschäftigt und abgelenkt. Vielleicht sollte ich es mit einem Schal für Justus versuchen.
Lena ließ mich weiterstricken, erinnerte mich aber unaufhörlich daran, die Maschen locker fallen zu lassen und »zwei rechts, zwei links« einzuhalten.
»Da, es geht los!«
Die Titelmelodie von Menschen bei Drechsler lief … das Close-up auf den Talkmaster folgte, und mit der Nahaufnahme ging es auch schon los.
»Mein erster Gast wird als eine der erotischsten Frauen Deutschlands gehandelt. Man kennt sie aus verschiedenen TV -Produktionen und Filmen. Momentan dreht sie einen neuen Film zusammen mit Justus Staufen. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir Annabelle Leiniger!«
Tusch! Annabelle stöckelte mit einem Outfit, das einer Schuluniform nachempfunden war und ihr Kindfrauimage richtig zur Geltung brachte, ins Studio. Dieser Aufzug war in einigen Ländern bestimmt verboten!
»Schau mal, Lena! Die hat eindeutig zu viele Mangas gelesen! Die Nummer hat sie hundert pro aus Japan! Darauf kommt sie doch nicht von alleine!«
Lena schüttelte angewidert den Kopf. »Das ist echt eklig! Gegen Frau Schleimiger war Lolita eine Heilige!«
Annabelle fuhr sich aufgesetzt schüchtern durch die Haare, und Drechsler begann das Interview.
»Annabelle, Sie wurden gerade zu einer der erotischsten Frauen Deutschlands gewählt. Freut einen das, oder hindert es eher, weil man dadurch auf bestimmte Rollen festgelegt wird?«
Wow, die Frage war ja die Krönung des investigativen Journalismus, zumal ich nichts von einer Wahl mitbekommen hatte! Diese gefakten Umfrageergebnisse wurden gern in Fragen als pseudofundierte Erkenntnisse eingeflochten, um die Frage nicht ganz so blöd daherkommen zu lassen,
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