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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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Vorbehalt, daß bei soviel Pathos nun endlich etwas Wichtiges kommen mußte, »dort in den Bergen gibt es Lieder, die noch kein Sammler auf Tonband aufgenommen hat. Und ich habe sogar eine Familie getroffen, die eine Schlagzither hatte.«
    »Na und, was beweist das schon?«
    »Vielleicht nichts, vielleicht aber auch eine ganze Menge.«
    »Das überlasse ich lieber Drew«, sagte ich. »Aber soll ich dir mal was sagen, Lewis? Wenn die Leute da oben in den Bergen, die mit ihren Volksliedern und Zithern, aus ihren Bergverstecken kämen und uns alle einem neuen Himmel oder einer neuen Erde entgegenführten, ließe mich das auch völlig kalt. Ich bin einer von denen, die nur von einem Tag zum anderen leben. Bin nie anders gewesen. Ich bin kein großer Art-Director. Ich bin kein großer Bogenschütze. Was mich am meisten interessiert, ist Durchrutschen. Weißt du, was ich damit meine?«
    »Nein, soll ich raten?«
    »Ich will es dir sagen. Durchrutschen ist das Mittel, ohne Reibung zu leben. Oder besser, durchrutschen heißt leben wie auf Kugellagern. Man muß nur eine bescheidene Sache finden, mit der man fertig wird, und die schmiert man dann kräftig. Auf beiden Seiten. Dann kommt man bequem überall durch.«
    »Und für etwas Verrücktes hast du nichts übrig, oder?«
    »Ganz und gar nicht. Ich bin viel zu schlau, um mit so etwas zu spielen.«
    »Also dann machst du …«
    »Also dann macht man so weiter. Also dann tut man, was getan werden muß. Und was man selten tut – und ich meine wirklich selten –, ist, damit zu kokettieren.«
    »Wir werden ja sehen«, sagte Lewis und sah mich an, als ob er mich schon in der Schlinge hätte. »Wir werden sehen. Du hast dauernd die ganzen Büromöbel vor den Augen gehabt, Schreibtische und Bücherregale und Aktenschränke und all den Kram. Du hast in einem Sessel gehockt, der sich nicht von der Stelle bewegte. Du hast einen sicheren Platz gehabt. Aber wenn du erst einmal den Fluß unter dir hast, wird sich das alles ändern. Nichts von dem, was du als Vizepräsident von Emerson-Gentry tust, wird noch von Belang sein, wenn das Wildwasser erst einmal aufschäumt. Dann nützt dir auch der Vizepräsident nichts mehr, dann kommt es nur noch darauf an, was du am Schluß geleistet hast. Verstehst du – geleistet.«
    Er hielt einen Augenblick inne, und ich wurde hellwach und war an einem Ort, wo ich noch nie gewesen war. »Ich weiß«, sagte er, »du hältst mich für einen narzißtischen Fanatiker. Aber das bin ich nicht.«
    »So würde ich es auch nie ausdrücken«, sagte ich.
    »Ich glaube nur«, sagte er, »daß die ganze Chose eines schönen Tages ausschließlich vom Körper, von der Physis abhängen wird. Und dann will ich bereit sein.«
    »Was für eine Chose?«
    »Die Menschheit und so. Ich glaube, daß die Technik versagen wird, daß die politischen Systeme versagen werden und daß ein paar Leute dann in die Berge gehen und ganz von vorn anfangen werden.«
    Ich sah ihn an. Er lebte in einem der Vororte der Stadt wie wir anderen auch. Er hatte Geld, eine gutaussehende Frau und drei Kinder. Ich konnte nicht glauben, daß er jeden Abend, nach den beschwichtigenden Gesprächen mit seinen vielen Mietern, nach Haus kam und sich dann höchst feierlich der Sache mit dem Überleben widmete, soweit es seinen Körper betraf. Welche Phantasievorstellungen führten zu so etwas? fragte ich mich. Hatte er vielleicht häufiger vom atomaren Schrecken geträumt und davon, wie er sich mit seiner Familie aus den Trümmern erhob, in denen die wenigen Starken hingestreckt lagen, und wie er jenen blauen Bergen zustrebte, denen wir uns jetzt näherten?
    »Ich hab mir einen Luftschutzbunker bauen lassen«, sagte er. »Ich werde dich mal mit hinunternehmen. Es gibt dort doppelte Türen, und die Vorräte an Fleischbrühe und Büchsenfleisch reichen mindestens für ein paar Jahre. Wir haben Spiele für die Kinder und ein Tonbandgerät und einen Haufen Bänder mit Anleitungen, wie das Gerät funktioniert und wie man gemeinsam Familien-Tonbandaufnahmen macht. Aber eines Tages stieg ich da hinunter und saß eine Zeitlang da. Ich kam zu dem Schluß, das Überleben stecke doch nicht in den Nägeln und im Metall und nicht in den doppelten, feuersicheren Türen und nicht im Marmor der chinesischen Schachfiguren. Es steckt in mir. Es kommt auf den Menschen an und darauf, was er zu leisten vermag. Der Körper ist das einzige, für das es keinen Ersatz gibt, er muß einfach dasein.«
    »Nimm doch mal an, es gäbe

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