Flußfahrt
praktisch tönt sie aus allen Bäumen. Jeder spielt irgendwas: Gitarre, Banjo, Zupfharfe, Schlagzither – oder Hackbrett, wie sie es nennen. Ich werde ziemlich enttäuscht sein, wenn Drew nicht was von der Musik zu hören bekommt, solange wir da oben sind. Es sind gute Menschen, Ed. Aber sie halten fürchterlich zusammen und leben auf ihre Art. Sie tun genau das, was sie wollen, einerlei, worum es geht. Jede Familie, die ich da oben kennengelernt habe, hat mindestens einen Angehörigen im Gefängnis. Einige sitzen, weil sie Alkohol gebrannt oder damit gehandelt haben, aber die meisten sitzen wegen Mordes. Hier oben denkt man über das Töten nicht soviel nach. Wirklich nicht. Aber wenn man es genauso macht, lassen sie einen im allgemeinen wenigstens in Ruhe. Und wenn einer von ihnen dich mag, wird er alles für dich tun. Und seine Familie auch. Ich will dir erzählen, was mir vor zwei Jahren passiert ist.«
»Schieß los.«
»Shad Mackey und ich fuhren den Blackwell Creek hinunter. Das Wasser war dort niedrig, und es wurde ziemlich langweilig. Wir taten nichts als paddeln, und es war höllisch heiß. Shad sagte, er würde lieber seinen Bogen nehmen und weiter flußabwärts Kaninchen jagen. Er stieg aus, und wir verabredeten, uns dort zu treffen, wo der Blackwell in den Cahula mündet, weit unterhalb der Stelle, wo wir jetzt hinfahren. Er ging in östlicher Richtung in den Wald, und ich paddelte weiter. Ich weiß noch, daß ich an dem Tag eine Wildkatze beim Trinken beobachtet hatte. Jedenfalls fuhr ich weiter und zog dann das Kanu ans Ufer und streckte mich auf einem Felsen aus, um auf ihn zu warten. Es passierte nichts. Ich horchte, aber außer den üblichen Geräuschen des Waldes hörte ich nichts. Es wurde langsam dunkel, und ich fing an, mir Sorgen zu machen. Ich wollte nicht, daß er im Dunkeln allein war, und ich wollte im Dunkeln auch nicht dableiben. Darauf war ich nicht vorbereitet, weißt du, ich war nicht vorbereitet. Ich hatte nichts zu essen dabei. Ich hatte keinen Bogen mitgenommen, ich war ein Idiot. Ich hatte ein Taschenmesser und eine Rolle Bindfaden, das war alles.«
»Das hättest du als Herausforderung auffassen sollen, Lewis.«
Das zu sagen, konnte ich mir nicht verkneifen. Aber er war nicht empfindlich in solchen Dingen; er ließ sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen.
»Es war nicht die passende Gelegenheit dazu«, sagte er. »Jedenfalls«, fuhr er fort, »lag ich auf einem großen Felsen, und langsam drang die Kälte in meine Knochen. Ich sah mich zufällig um, und da stand plötzlich ein Kerl und blickte mich an. ›Was willst du denn hier in der Gegend, Kleiner?‹ sagte er. Er war hager und trug Overallhosen und ein weißes Hemd mit hochgerollten Ärmeln. Ich erzählte ihm, daß ich mit einem Freund den Fluß hinunterführe und darauf wartete, daß er zu mir stieß. Es fiel ihm schwer, mir das zu glauben, aber allmählich kamen wir ins Gespräch. Ich war keineswegs überrascht, daß er in der Nähe eine Schnapsbrennerei hatte. Er und sein Sohn betrieben sie. Zusammen gingen wir vom Fluß aus ungefähr fünfhundert Meter in den Wald. Sein Sohn machte gerade ein Feuer. Wir setzten uns hin und unterhielten uns. ›Sie sagen, Sie haben da oben einen, der mit Pfeil und Bogen jagt. Weiß er, was da oben los ist?‹ fragte er mich. ›Nein‹, sagte ich. ›Es ist schlimmer als eine Gefängnisnacht in Süd-Georgia‹, sagte er, ›und ich weiß, wovon ich spreche. Haben Sie ‘ne Ahnung, wo er ungefähr ist?‹ Ich sagte nein. ›Wir haben uns irgendwo weiter oben am Fluß getrennt.‹ «
Fast hätte ich gelacht. Obwohl er immer alles wie besessen vorausplante, brachte Lewis sich und andere Leute immer wieder in derartige Situationen. Und ich wollte doch stark hoffen, daß es diesmal nicht zu so etwas kam.
»Und was passierte dann?« fragte ich.
»Das Feuer loderte und warf gespenstisch zuckende Schatten. Der Mann stand auf und trat auf seinen Sohn zu, der höchstens fünfzehn Jahre alt war. Er sprach eine Weile auf ihn ein und kam dann wieder zu mir, drehte sich aber auf halbem Weg um und sagte: ›Sohn, suche den Mann!‹ Mir lief es kalt über den Rücken. Der Junge sagte keinen Ton. Er holte von irgendwoher eine Taschenlampe und ein altes einschüssiges zweiundzwanziger Gewehr. Aus einer Schachtel nahm er eine Handvoll Kugeln und steckte sie sich in die Jackentasche. Er rief den Hund und war auch schon verschwunden.«
»Was? Er ging einfach so los?«
»Er ging in die Richtung, in
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