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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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ausgefahrenen Gleisen entreißen oder, wie er sich ausdrückte, mir dabei helfen würde, das ›Alltagsschema zu durchbrechen‹.
    »Ab geht’s«, sagte er, »raus aus dem Schlaf der friedlichen Bürger, hinein in das schäumende Wildwasser.«
    Das Kanu ragte vorn wie ein Schnabel über das Verdeck des Wagens hinaus, und wir glitten die Straße entlang, bogen nach links ein und wurden schneller, bogen dann noch einmal nach links und brausten davon. Ich stemmte einen Fuß hoch und wartete darauf, daß wir die abschüssige Strecke hinter uns ließen, und als wir unten waren, hatten wir auch schon das Einkaufszentrum erreicht.
    Drews Oldsmobile parkte ungefähr fünfzig Meter diesseits der Ausfallstraße. Ein altes Holzkanu, das aussah, als gehöre es nicht auf einen Fluß, sondern auf einen See, war mit einem langen ausgefransten Tau auf das Autoverdeck geschnürt; darunter lag eine Armeedecke, damit das Wagendach nicht zerkratzt wurde. Lewis schoß am Olds vorbei und auf die Auffahrt zur Autostraße.
    Als wir vorbeisausten, machte ich den anderen Churchills V-Zeichen, und Bobby antwortete mit dem klassischen Zeigefinger-Hoch. Ich sah wieder nach vorn, streckte mich auf dem Sitz aus und sah zu, wie die Helligkeit des Tages zunahm. Die Sonne ruhte stärker und stärker auf meinem rechten Arm, sie stieg hinter den Texaco- und Shell-Tankstellen empor und hinter den Drive-in-Restaurants für Hamburger und Bier, die auf den nächsten dreißig Kilometern des Highways an uns vorbeiflogen. Zu keinem von ihnen hatte ich irgendwelche Beziehung; sie waren vor mir verschlossen und glitten hinter einem glasigen Luftstrom an mir vorbei. Aber irgendwann war ich schon einmal hier gewesen; ich spürte jetzt, daß mein Magen leer war. Rechts bewegte sich eine lange Reihe von weißen Zementpfählen auf uns zu, ein weiß-rotes Drive-in, dessen verzinktes Blechdach die Sonne zittern und schwingen ließ, und meine halb geschlossenen Augen trennten einen der Pfähle von den übrigen und vergrößerten ihn, wie Falkenaugen es tun.
    Weihnachten vor zwei Jahren hatte ich daran gelehnt. Ich hatte lange dort gelehnt, bis das Lehnen schließlich zu einem Drehen um den Pfahl wurde, und dann hatte ich es endlich fertiggebracht innezuhalten und hatte erbrochen, hatte zunächst halbfeste Nahrung von mir gegeben und dann alle möglichen Farben starker, kräftiger Flüssigkeiten, die alle von der Weihnachtsfeier im Atelier stammten. Wie ich mich erinnerte, hatte Thad gedacht, wenn er mit mir hier auf ein letztes Bier hinaus führe, könnte mir das helfen, wieder nüchtern zu werden, aber als er sah, in was für einem Zustand ich mich befand, war er entsetzter, als jeder Fremde es hätte sein können.
    Wenn ich betrunken war, hatte ich oft das Gefühl, daß die Dinge um mich herum genauso betrunken waren wie ich – freundliche Tische und Sofas und sogar Bäume –, aber der Pfahl vor dem Drive-in-Restaurant stand da kalt und Zementen in unserem südlichen Winter. Es war keinerlei Bewegung in ihm, und ich konnte ihm auch die meine nicht mitteilen, betrunken wie ich war; ich torkelte zwischen den Autos herum, in denen angeekelte Leute saßen, tief in ihre Mäntel vermummt, die Gesichter blau und rot vom Neonlicht – jenem eintönigen, unaufhörlichen Wechsel der Farben –, und tief unten berührte etwas meinen Magen, das kälter war als das Metall in meiner Hand, mir schoß es hoch, und ich hielt mich am Pfahl fest und ließ es kommen. Ich konnte hören, wie die Autos neben mir anfuhren, und ich versuchte mit allen Muskeln, meinen Magen hochzubringen. Vielleicht bin ich auch ein paarmal mit dem Kopf gegen den Pfahl gestoßen, denn über dem einen Auge hatte ich später auf der Stirn einige Beulen.
    Als wir jetzt vorbeifuhren, drehte ich mich um, damit ich auf den Pfahl blicken konnte, und erwartete beinahe, etwas Besonderes daran zu sehen; vielleicht war der Boden um ihn herum ausgebleicht, oder es gab einen anderen Hinweis darauf, daß ich dort einmal gestanden hatte. Natürlich sah ich nichts dergleichen, aber eine unmenschliche Kälte berührte mich, mein Magen zog sich zusammen, und dann waren wir vorbei.
    Der Highway schrumpfte auf zwei Fahrspuren zusammen; wir waren auf dem Lande. Es war kein allmählicher Übergang; man hätte das Auto anhalten und genau an der Stelle aussteigen können, wo die Vorstadt endete und der rotfelsige Süden begann. Ich hätte es gern getan, um festzustellen, ob das irgendeinen Sinn hatte. Dort war ein Motel, dann kam

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