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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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die ich gezeigt hatte. Das war sein einziger Anhaltspunkt. Das und die Worte seines Vaters. Deshalb erzähle ich ja die Geschichte. Du kannst sagen, was du willst. Ich weiß es einfach. Zuverlässigkeit. Hier oben ist sie etwas Selbstverständliches. Dieser Mann zwang seinem Sohn nicht etwa seinen Willen auf. Der Junge wußte einfach, was er zu tun hatte. Er ging einfach los in die Dunkelheit.«
    »Na und?«
    »Na und? Diese Menschen sind uns eben überlegen, Ed! Es tut mir leid, aber sie sind es nun mal. Glaubst du vielleicht, Dean wäre zu so etwas imstande, wenn er fünfzehn ist? Zunächst einmal käme es gar nicht dazu. Und wenn es sein müßte, brächte er es gar nicht fertig, so wie dieser Junge einfach loszuziehen mit seinem Hund in die Dunkelheit.«
    »Es hätte ihm was zustoßen können. Vielleicht war der Vater ganz einfach ein Arschloch«, sagte ich.
    »Vielleicht war er’s auch, aber nicht für den Jungen«, sagte Lewis. »So was ist für die Eltern genauso hart wie für die Kinder. Und wenn beide Seiten sich darüber klar sind, klappt es eben. Verstehst du?«
    Ich verstand es nicht ganz, aber das gab ich nicht zu. »Und wie endete die Geschichte?«
    »Gegen zwei Uhr morgens, als das Feuer fast heruntergebrannt war und ich gegen einen Baum gelehnt schlief, kam der Junge mit Shad zurück. Shad hatte sich ein Bein gebrochen und war in der Dunkelheit hilflos im Buschwerk herumgekrochen, als der Junge ihn fand. Weiß Gott, wie er das geschafft hat.«
    »Und wenn er es nicht geschafft hätte?«
    »Das würde an der Sache nichts ändern«, sagte Lewis. »Er ging eben los und versuchte es. Er hätte es nicht zu tun brauchen. Oder vielmehr, er mußte es tun. Jedenfalls ging er los, und wenn er das nicht getan hätte, wäre Shad übel dran gewesen.«
    »Letzten Monat habe ich Shad auf einer Sitzung getroffen«, sagte ich. »Er mag ja ein Freund von dir sein, aber viel hat man mit ihm da oben in den Wäldern nicht gerettet.«
    »Du bist ganz schön zynisch, Ed.«
    »Bin ich auch«, sagte ich. »Und wenn schon.«
    »Zufällig bin ich diesmal deiner Meinung«, sagte er nach einer Weile. »Es ist nicht viel dran an ihm. Trinkt sinnlos herum. Redet zuviel. Leistet nicht genug, weder bei solchen Flußfahrten noch bei der Arbeit und auch nicht – da bin ich ziemlich sicher im Bett bei seiner Frau oder einer anderen. Aber darum geht es auch nicht. Es ist seine Sache, wie er sich sein Leben einrichtet und was für Wertbegriffe er sich setzt. Entscheidend sind die Wertbegriffe des Jungen, der ihn aus dem Wald herausschleppte. Und die hatte er von seinem Alten und von der Lebensweise seines Alten; dabei waren beide voller Ignoranz, voller Aberglauben, und der Hintergrund dafür waren Blutvergießen, Mord, Schnaps, Holzwürmer, Waldgespenster und frühes Sterben. Das bewundere ich, und ich bewundere die Menschen, die so beschaffen sind und die so leben, und wenn du das immer noch nicht begreifst, dann bist du ein Arschloch.«
    »Okay«, sagte ich, »dann bin ich eben ein Arschloch. Aber ich werde mich trotzdem an die Stadt halten.«
    »Das wirst du wohl«, sagte Lewis. »Aber dir werden allmählich Zweifel kommen.«
    »Vielleicht, aber das soll mich nicht weiter stören.«
    »Das ist es ja. Die Stadt hat von dir Besitz ergriffen.«
    »Hat sie auch. Aber von dir auch, Lewis. Ich sage es nicht gern, aber du verbringst dein Leben mit allen möglichen Spielchen. Und ich spiele den Art-Director. Aber ich richte mein Leben und das meiner Familie nach den Umständen ein. Mir bleibt nichts anderes übrig, und so tue ich es auch. Ich träume nicht von einer neuen Gesellschaft. Ich nehme die Dinge so, wie sie sind. Ich lese keine Bücher und habe keine Theorien. Wozu auch? Du lebst in deinen Phantasievorstellungen.«
    »Was anderes hat man ja auch nicht. Es kommt nur darauf an, wie stark deine Phantasie ist und ob dein Bewußtsein sich wirklich – wirklich – mit deiner Phantasie vereinbaren läßt, ob du den Dingen gewachsen bist, die deine Phantasie entwickelt. Ich weiß nicht, wie das bei dir ist, aber ich wette, daß du nicht damit zurechtkommst.«
    »Meine Phantasie ist ziemlich schlicht«, sagte ich.
    Ich sagte allerdings nicht, welche Formen sie gerade in diesen Tagen entwickelt hatte, und auch nichts von dem Mondsplitter in jenem Goldauge, das mich anblickte, als meine Frau ihren Hintern auf und ab bewegte.
    »Meine Phantasie ist auch schlicht, und ich arbeite an ihr. Vielleicht wird es nie zu einer Situation kommen, in der

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