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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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brüllen. Und Drew könnte die Gitarre dazu spielen. Wetten, daß er daran Spaß hätte? Wetten, daß er sich nicht lange bitten ließe?«
    »Na, für mich wär’s ja jedenfalls nichts. Für dich etwa?«
    »Jedem Tierchen sein Pläsierchen«, sagte ich. »Aber ich glaube, es wäre auch nichts für mich. Ich kann’s kaum abwarten, daß wir auf den Fluß kommen. Du hast mich mit deiner Flußmystik so vollgepumpt, daß ich sicher bin, mit dem ersten Paddelschlag ein anderer Mensch zu werden.«
    »Wart nur ab, mein Sohn«, sagte er. »Du wirst dich immer wieder hierher zurücksehnen. Hier ist die Wirklichkeit.«
    Ich sah hinüber zu den blauen Bergen, deren wolkige Silhouetten immer massiver wurden, die ständig ihre Lage änderten, sich von einer Seite der Straße auf die andere bewegten, wieder zurückkamen und genau vor uns lagen und dann wieder über die Straße wegrutschten. Aber immer mächtiger wirkten. Wir fuhren durch etwas Buschwerk und dann über ein riesiges Feld, das sich kilometerweit vor uns erstreckte und genau bis zum Rand der Berge reichte, die nun allmählich, Kilometer für Kilometer, ihr Blau verloren und leicht goldgrün zu schimmern begannen. Milliarden Blätter färbten sie so. Gegen Mittag hatten wir sie erreicht, wir waren immer noch auf dem Highway. An der nächsten Kreuzung bogen wir ab auf eine schwarzgeteerte Bundesstraße und dann wieder auf einen aufgerissenen und unkrautüberwucherten alten Highway – aus den dreißiger Jahren, soweit ich es beurteilen konnte –, dessen alte, aufgespritzte Mittellinie aus Teer vor uns herschwebte. Dann bogen wir wieder ab, und zwar auf eine Zementstraße mit zahllosen Schlaglöchern, Senkungen und Rissen. Sie war eine Instandsetzung gar nicht mehr wert. Nach Oree waren es immer noch gut sechzig Kilometer.
    Wir mußten dorthin fahren, um zwei Männer anzuheuern, die unsere Wagen nach Aintry herunterbringen sollten, und dann mußten wir flußab paddeln, einen Lagerplatz finden und die Zelte aufschlagen. Wenn möglich, wollten wir auch noch einige Lebensmittel kaufen. Wir waren mit der Zeit zwar nicht knapp dran, durften aber auch keine vergeuden. Lewis trat auf’s Gaspedal; schlechte Straßen waren immer eine Herausforderung für ihn. Das Kanu über unseren Köpfen bumste und scharrte. Wir waren jetzt zwischen Bäumen, zwischen vielen Bäumen. Ich hätte es auch mit geschlossenen Augen gemerkt; ich konnte hören, wie sie rauschten, wie die Wipfel sich öffneten und dann mit einem neuen Rauschen wieder schlossen. Ich war überrascht über all die Farben, die es hier gab. Ich hatte immer geglaubt, es gäbe bei uns nur Kiefern, aber wie ich jetzt sah, war das keineswegs der Fall. Ich hatte keine Ahnung, um was für Bäume es sich handelte, aber sie waren wunderschön, leuchteten frühherbstlich und wechselten die Farben fast bei jedem Blick. Sie fingen gerade an, sich zu färben, und flammten noch nicht im späten Rot. Aber der Herbst kündigte sich schon an.
    »Du guckst dir die Bäume an«, sagte Lewis. »Ich bin im April hier gewesen; da kannst du an ihnen etwas sehr Aufregendes erleben.«
    »Ich finde sie jetzt schon aufregend genug«, sagte ich. »Aber was meinst du?«
    »Hast du schon mal was von der Raupe des Lindenfalters gehört?«
    »Klar«, sagte ich. »Immerzu. Um die Wahrheit zu sagen, nein.«
    »Jedes Jahr, wenn die Raupen sich verpuppen wollen, dann tut sich hier was an den Bäumen.«
    »Was denn?«
    »Dann kannst du sie in Massen hängen sehen. Millionen von ihnen hängen sich da auf.«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Nein, mein Sohn. Sie lassen sich an dünnen Fäden runter. Du kannst hinsehen, wo du willst, und du siehst, wie sie an den Fäden hängen und sich krümmen und drehen wie Menschen, die nicht sterben können. Manche von ihnen sind schwarz, andere wieder braun. Alles ringsum ist Stille, eine große Stille; und da hängen sie und winden sich. Aber leider fressen sie die Blätter, und von amtlicher Stelle versucht man, sie auszurotten.«
    Es war ein warmer Tag. Alles war grün, und durch das Grün drang jene sanfte, frühe Goldfarbe, die die Augen schmerzen läßt, wenn man auf das Grün schaut. Wir fuhren durch Whitepath und Pelham, Orte, die noch kleiner waren als die vorigen, und Pelham war noch kleiner als Whitepath, und dann begannen wir hinaufzukurven. Zwischen den Ortschaften wurde der Wald immer dichter und schloß sie schließlich ganz ein.
    »Paß auf die Hirsche auf«, sagte Lewis. »Wenn sie nicht genug Futter finden,

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