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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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nicht an, starrten beide in verschiedene Richtungen; wir alle waren im toten Winkel.
    »Irgendwas«, sagte der Alte. »Spielen Sie irgendwas.«
    Drew fing mit ›Wildwood Flower‹ an, spielte es in gemäßigtem Tempo und ohne viele Läufe einzuflechten. Lonnie zog an den Gummibändern und spannte den Stimmboden. Drew spielte voller; die Gitarrenklänge hoben sich von der staubigen Tankstelle hinweg. Ich hatte ihn noch nie so gut spielen hören, und ich hörte jetzt ganz aufmerksam zu, war bewegt, wie jeder unmusikalische Mensch es ist, wenn er bemerkt, daß die Musik tief empfunden ist. Nach einer Weile klang es, als füge Drew jedem Ton, den er spielte, einen zusätzlichen Klang hinzu, ein hohes, spitzes Echo der Melodie, und erst da wurde mir klar, daß es das Banjo war; es wurde so weich und richtig gespielt, daß es klang, als brächte Drews Fingerfertigkeit diese Klänge hervor. Drews Gesicht sah ich zwar nicht, aber sein Nacken drückte reine Freude aus. Er ließ die Melodie verklingen und spielte jetzt nur noch Rhythmus, und Lonnie nahm ihn auf. Er verzichtete auf Betonungen, aber in allem, was er spielte, war ein liebliches, schwereloses Fließen, das ohne Ende schien. Seine Hände, voller langer Schrammen, nahmen sich Zeit; die Finger bewegten sich nur ganz leicht, so wie geübte Finger auf einer Schreibmaschine – die Musik war da, das war alles. Drew fiel in die neue Tonart ein, und im Gleichklang beendeten sie das Spiel. Ein paar Minuten, bevor das Lied endete, ließ sich Drew von der Kühlerhaube heruntergleiten und stellte sich neben Lonnie. Sie brachten ihre Instrumente dicht zusammen und lehnten sich in jener Pose aneinander, wie man sie aus dem Fernsehen von Vokalensembles und sogenannten Folkloregruppen her kennt, und doch hatte ich das Gefühl, etwas Seltenes, Unwiederholbares zu erleben, wie ich sie da stehen sah, den schwachsinnigen Jungen vom Lande und den unauffälligen Städter mit dem breiten Gesicht, den Sonntagsgärtner und Mitglied des Gemeinderats. Drews wegen war ich froh, daß wir hierhergekommen waren. Allein schon um dieses Augenblickes willen würde sich die Fahrt für ihn gelohnt haben.
    »Verdammt«, sagte er, als sie aufhörten.
    »Aber jetzt komm, Drew«, sagte Lewis. »Leg das Ding weg. Wir müssen jetzt sehen, daß wir aufs Wasser kommen.«
    »Ich könnte den ganzen Tag lang mit dem Jungen spielen«, sagte Drew. »Könnt ihr nicht noch eine Minute warten? Ich möchte mir seinen Namen und seine Adresse aufschreiben.«
    Er wandte sich erst Lonnie und dann schnell dem Alten zu; er schien Angst zu haben, daß Lonnie weder seinen Namen noch seine Adresse wußte. Sie gingen ein paar Schritte miteinander und standen dann am anderen Ende der Tankstelle und redeten. Dann reichte Drew dem alten Mann die Gitarre und holte seine Brieftasche und einen Bleistift aus der Tasche und schrieb sorgfältig auf, was der Alte ihm sagte. Einmal berührte der Mann Drews Schulter. Drew kam zurück, und der Alte und Lonnie gingen hinein.
    »Wißt ihr«, sagte Drew zu uns, »hier möchte ich wieder mal herfahren, nur um noch ein bißchen von dieser Musik zu hören. Ich dachte immer, die guten Spieler vom Lande wären längst alle nach Nashville gegangen.«
    »Und was ist nun mit dem Fluß?« fragte Lewis. »Er hat mir gesagt, daß wir hier in der Nähe der Stadt nirgends zum Fluß runterkommen. Hier ist es zu steil. Aber zehn oder fünfzehn Kilometer weiter nördlich wird das Land flach. Wir müssen noch ein Stück durch die Wälder. Vor ein paar Jahren wurde der Wald da oben gerodet, und er glaubt, daß es dort jetzt noch irgendwo Wege gibt, die zum Fluß hinunterführen.«
    »Und wer fährt unsere Wagen?«
    »Hier weiß er niemanden, aber an der Straße, die wir nehmen müssen, gibt es zwei Brüder, die eine Werkstatt betreiben, und vielleicht werden die es machen.«
    Wir verließen den Ort. Wir waren bereits höher, als ich gedacht hatte. Wir fuhren über eine Brücke, und ganz tief unten, zwischen den vibrierenden Stahlträgern hindurch, flimmerte der Fluß. Er war grün, friedlich, langsam und, wie ich fand, ganz schmal. Er sah überhaupt nicht tief oder gefährlich aus, nur malerisch. Man konnte sich kaum vorstellen, daß er irgendwo durch tiefe Wälder floß oder daß Wild an ihm zur Tränke ging oder daß er gestaut werden sollte und dann einen See bilden würde.
    Knapp einen Kilometer nördlich vom Ort hielten wir wieder an. Lewis schlug vor, daß Drew und Bobby noch Lebensmittel besorgen

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