Flußfahrt
gesehen, nicht einmal auf den Bildern in Sportzeitschriften, denn die meisten dieser Athleten sind ziemlich klein, und Lewis war ungefähr 1,90. Er wog schätzungsweise seine hundertachtzig Pfund. Seine Muskeln waren glatt und fest, und wenn er sich bewegte, traten seine Adern an den sich bewegenden Stellen des Körpers leicht hervor. Wenn man ihn so betrachtete, wirkte er, als sei er aus gut aufeinander abgestimmten, mit blauem Draht umwickelten rotbraunen Teilen geformt. Sogar an seinem Rumpf sah man die blauen Adern, und mir wurde klar, daß ich die Anzahl der Liegestütze und anderen gymnastischen Übungen – von der Spezialnahrung ganz abgesehen –, die das alles bewirkt hatten, nicht einmal im Traum ermessen konnte. Er legte seine Hand auf meine behaarte Schulter.
»Woran denkst du, Gorilla?«
»Ich denke, Tarzan spricht mit gespaltener Zunge. Ich denke, Herr des Dschungels spricht mit Schlangenzunge«, sagte ich. »Ich denke, wir nie aus diesem Wald rauskommen. Er uns her gebracht, damit wir hier bleiben und Königreich gründen.«
»Sehr richtig«, rief Bobby vom Ufer herüber. »Ein Königreich der Schlangen …«
Drew tauchte aus dem Wasser auf und stellte sich neben uns.
»Gott, ist das herrlich«, sagte er. »Tut einem verdammt gut. Ich habe mich noch nie im Leben so großartig gefühlt. Mordserfrischend. Genau das ist es. Ich glaube, nun bin ich für den ganzen Tag topfit. Ein paar Minuten Schwimmen würden auch dir guttun, Bobby!«
»Nein, danke«, sagte Bobby. »Wenn ihr dann fertig seid, werden ich und mein Kumpel weiter flußabwärts kumpeln – der Gewaschene und der Ungewaschene.«
Bobby saß mit hochgezogenen Knien in der Sonne, sichtlich in Abwehrhaltung, da er sah, daß wir in dem kalten Wasser fröstelten. Unsere Brustwarzen traten bläulich hervor, und meinem Körper schon wieder langsam warm wurde, und ich wollte wieder auf den Fluß, bevor ich wieder anfing zu schwitzen.
Bobby und ich gingen zu unserem Kanu und überlegten angestrengt, was wir sonst noch den anderen aufladen konnten. Schließlich nahmen wir nur ein Zelt, meinen Bogen, einen Karton mit Dosenbier und Drews Gitarre mit, denn das hölzerne Kanu leckte ein bißchen, während unseres ziemlich trocken war. Wir wickelten die Gitarre in die Zeltplane, stiegen ein und stießen ab. Unser Kanu lag jetzt besser im Wasser, und Bobbys Paddelkünste schienen davon zu profitieren; vielleicht hatte er inzwischen aber auch gemerkt, daß wir, wenn er sich etwas anstrengte, den Fluß um so schneller wieder verlassen konnten. Lange Zeit war das Wasser ganz ruhig. Wir ließen eine Flußniederung nach der anderen hinter uns, näherten uns bald dem einen Ufer, bald dem anderen. Ich versuchte, den überhängenden Zweigen auszuweichen, was ziemlich einfach war. Der Fluß wurde breiter, die Strömung verlangsamte, beruhigte sich, und wir mußten mehr paddeln als zuvor. Wir spürten die Strömung kaum noch, sie war sehr schwach geworden, und wenn wir nicht paddelten, war es, als würden wir von einer unsichtbaren Kraft unter uns weitergezogen, während das Wasser um uns herum stillzustehen schien.
Weit voraus war ein Rauschen zu hören, aber es schien ständig vor uns zurückzuweichen. Hinter jeder Biegung war nur ein weiterer ruhiger Abschnitt des Flusses zu sehen, und die beiden Ufer waren immer dichter bewaldet. Rechts von uns flog ein Reiher auf. Er schoß flußabwärts vor uns her, dann nach links und wieder nach rechts, dann im Zickzack, stieß unentschlossen aufs Wasser herab und verschwand dann hinter der nächsten Biegung, und als wir sie erreicht hatten, flog er wieder von einem Baum auf, dessen Zweige ihn uns verborgen hatten, und hob sich auf langen blauen Schwingen in die Luft. Er stieß dabei einen rauhen, gequälten, unmenschlichen Schrei aus und zog weit vor uns über dem Fluß einen wunderbaren Kreis, so dass er seinen eigenen unbestimmten, vom Wasser verzerrten Schatten zu berühren schien. Das Spiel wiederholte sich an vier, fünf Biegungen, bis wir eine weitere erreichten und er plötzlich nicht mehr zu sehen war. Vielleicht war er hoch über den Wäldern, wahrscheinlich aber, dachte ich, saß er jetzt auf einem Baum und wartete, bis wir vorbeigefahren waren, um dann seinen hektischen Flug fortzusetzen und den langgezogenen, trostlosen Schrei auszustoßen, den er in seiner Kehle festhielt, bis wir verschwunden waren.
In dem neuen Schweigen um uns wirkte der Fluß tiefer und tiefer; je höher die Sonne stieg, um so mehr
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