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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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Mein suchender Blick auf den Fluß mußte ihm aufgefallen sein.
    »Ist noch wer mit euch?« fragte er mich.
    Ich schluckte und überlegte, und die verschiedensten Möglichkeiten schossen mir durch den Kopf. Wenn ich ja sagte und die beiden Streit mit uns anfingen, dann würden wir Lewis und Drew, die nicht wußten, was sich hier abspielte, mit hineinziehen. Oder sie würden uns in Ruhe lassen, da sie mit vieren nicht fertig werden konnten. Wenn ich aber nein sagte, dann könnten Lewis und Drew – vor allem Lewis –, ja, dann könnten sie irgend etwas unternehmen. In Gedanken sah ich Lewis’ Brustkasten vor mir, seine Beine, die kräftigen Muskeln seiner Schenkel, seine schmalen Fesseln und die Waden, die unter Wasser massiv und kräftig wirkten wie bei einem Zentaur. Darauf wollte ich mich verlassen.
    »Nein«, sagte ich und machte ein paar Schritte auf den Wald zu, um sie vom Wasser wegzubringen. Der Hagere beugte sich vor, berührte Bobby am Arm und betastete ihn sonderbar behutsam. Bobby zuckte zurück, aber da richtete sich das Gewehr hoch, fast zufällig, aber entschlossen.
    »Wir fahren besser wieder los«, sagte ich. »Wir haben noch ‘ne lange Strecke vor uns.«
    Ich machte einen zögernden Schritt auf das Kanu zu.
    »Ihr fahrt nirgendwohin«, sagte der Mann vor mir und richtete das Gewehr genau auf meine Brust. Als ich in die beiden Läufe blickte, stand mir das Herz still, und ich fragte mich, wie die beiden Mündungsöffnungen aussehen würden, wenn der Schuß losging: ob Feuer aus ihnen hervorbrechen oder ob man nur eine graue Wolke sehen würde oder ob sich da überhaupt nichts veränderte in dem Augenblick zwischen Leben und Tod.
    Er schlang den Strick um die Hand, den er als Abzug benutzte. »Komm sofort hier herein, oder deine Gedärme hängen in den Bäumen.«
    Ich hob langsam die Hände hoch wie ein Schauspieler in einem Wildwestfilm. Bobby sah zu mir herüber, aber ich war hilflos, und meine Blase verkrampfte sich. Ich ging vorwärts in den Wald, zwischen ein paar großen Büschen hindurch, die ich zwar sah, aber nicht spürte. Die anderen kamen hinter mir her.
    Der eine von den beiden sagte: »Stell dich mit dem Rücken an den Baum da.«
    Ich ging auf einen Baum zu. »An den hier?« fragte ich.
    Es kam keine Antwort. Ich stellte mich mit dem Rücken an den Baum, den ich gewählt hatte. Der Hagere kam auf mich zu und nahm mir den Gürtel ab, an dem mein Messer und das Nylonseil hingen. Mit einer schnellen Handbewegung löste er das Seil, machte den Gürtel auf und band mich damit so fest an den Baum, daß ich kaum noch atmen konnte. Die Schnalle schloß er auf der anderen Seite des Stammes. Dann kam er mit dem Messer in der Hand zurück. Mir fiel plötzlich ein, daß sie so etwas sicher nicht zum erstenmal taten. Es sah nicht so aus, als hätten sie sich das alles eben erst ausgedacht. Der Hagere hielt das Messer hoch, und ich war darauf gefaßt, daß es in der Sonne blitzend auf mich zukam. Aber es gab keine Sonne, wo wir standen. Trotzdem, auch in dem tiefen Schatten hier sah ich deutlich die Klinge, die ich zu Hause am Schleifstein geschärft hatte, die dünngeschliffene, mörderisch scharfe Schneide.
    »Sieh dir das an«, sagte der große Mann zu dem anderen. »Wetten, daß man damit Haare abrasieren kann?«
    »Probier’s doch mal aus! Er hat Haare genug. Nur nicht auf ‘m Kopf.«
    Der Hagere griff nach dem Reißverschluß meiner Fliegerkombination, atmete mir dabei ins Gesicht und zog ihn bis zum Gürtel herunter, als wollte er mich aufreißen.
    »Allmächtiger Gott«, sagte der ältere. »Sieht verdammt aus wie ‘n Affe. Hast du so was schon mal gesehen?«
    Der Hagere schob die Spitze des Messers unter mein Kinn und drückte es damit nach oben. »Haben sie dir schon mal die Eier abgeschnitten, du Scheißaffe?«
    »In letzter Zeit nicht«, sagte ich mit der Ironie des Städters. »Was könnten Sie schon mit ihnen anfangen?«
    Er schabte mir mit der flachen Klinge über die Brust, hielt sie hoch, und sie war mit schwarzem Haar und etwas Blut bedeckt.
    »Ist scharf«, sagte er. »Könnte schärfer sein, aber ist scharf.«
    Blut rann mir vom Kinn herab, von der Stelle, wo er das Messer angesetzt hatte. Noch nie war jemand so brutal mit mir umgegangen, noch nie hatte ich eine solche Verachtung gegenüber dem Körper eines anderen erlebt. Nicht der Stahl oder die Schärfe des Messers flößten mir Furcht ein: hätte er es mit den Fingernägeln getan, wäre es genauso brutal gewesen. Aber das

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