Flußfahrt
durchziehen. So vorsichtig wie möglich entfernte ich die Federn, aber bei jeder Bewegung zuckte mein Herz und schrie um Hilfe. Ich biß die Zähne zusammen und zerrte an dem Schaft. Er bewegte sich nur widerstrebend, und ich dachte an die Farbreste, die er in der Wunde zurücklassen würde, aber anders war es nicht zu machen. Ich spuckte in meine Hand, rieb den Schaft mit Speichel ein und hoffte, dieses Gleitmittel würde etwas nützen. Zuerst tat es das auch, dann jedoch wirkte es nicht mehr: der Pfeil saß fest, und ich konnte ihn keinen Millimeter mehr bewegen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, wieder in Ohnmacht zu fallen.
Ich mußte ihn herausschneiden. Ich zog das Jagdmesser aus dem Gürtel, schnitt den Nylonstoff über der Wunde weg und sah mir die Stelle an. Ich betrachtete sie nur, tat nichts anderes, und das war viel schrecklicher als der Versuch, den Pfeil mit geschlossenen Augen herauszuziehen. Die Doppelspitze hatte meine Seite aufgerissen – dazu war sie schließlich konstruiert worden –, und wenn sie nicht ganz so tief eingedrungen wäre, hätte es nur eine schmerzhafte Fleischwunde gegeben, aber das war leider nicht der Fall, und der Schaft steckte in mir. In mir. Als ich den Schaft bewegte, zuckte das Fleisch um das Metall herum zusammen wie ein Mund. Ich setzte das Messer an – an dem Fleisch über der Wunde. Jetzt nur gerade herunterschneiden, sagte ich laut zu mir. Herunterschneiden und den Pfeil herausschneiden, und dann kannst du die Wunde im Fluß auswaschen. Dann wird es dir schon viel besser gehen, alter Junge. Ich schnitt. Mein Magen drehte sich um vor Schmerz, und ich erweiterte den Schnitt, den ich gemacht hatte. Der Wald und die Luft schwirrten, als hätten sich von allen Zweigen Vögel erhoben, um genau auf mein Gesicht zuzufliegen. Ich nahm das Messer und drehte es, bis der gekrümmte Teil der Schneide in der Wunde steckte, und dann trieb ich es mit beiden Händen nach unten. Ich spürte, wie es an dem Schaft entlangschabte. Das muß doch nun endlich reichen, sagte ich. Ich will mich nicht noch mehr aufschneiden, und wenn ich den Pfeil jetzt mit einem Ruck herausreißen und mich dabei selbst zerfetzen müßte. Der Felsbrocken war mit Blut bedeckt, und ich tastete nach der Wunde, um festzustellen, ob der Schaft einigermaßen frei von Fleisch war. Das Messer fiel klirrend auf den steinigen Boden. Jetzt war der Schaft locker. Ich zog ihn ein Stück weiter durch mich hindurch, und die Wunde fühlte sich plötzlich anders an. Schließlich lag der Pfeil voller Blut in meiner Hand, und die Wunde klaffte, und das Blut strömte auf den felsigen Boden. Ich stürzte nieder, den Pfeil immer noch in der Hand, und raffte mich dann wieder auf. Eine solche Freiheit hatte es noch nie gegeben. Schon der Schmerz an sich war Freiheit, und das Blut auch. Ich hob das Messer auf und schnitt einen meiner Nylonärmel oben an der Schulter ab und stopfte ihn in die tiefe Wunde, und dann schnitt ich einen langen Streifen aus meinem rechten Hosenbein heraus und band ihn mir fest um die Hüfte. Ich fühlte mich wie eine gehetzte Kreatur, aber zugleich triumphierte ich.
Konnte ich gehen? Was sollte ich sonst tun?
Mein Gang war seltsam und schleppend, aber ich konnte gehen. Ich schleppte mich bis an den Rand der Felswand, die hier fast senkrecht abfiel. Von dem Kanu war nichts zu sehen, und ich vermutete, daß es bereits vorbeigefahren war. Pech gehabt. Ich würde noch etwas warten, dann versuchen, den Mann zu finden, den ich getötet hatte, und ihn begraben oder auf irgendeine andere Weise beiseite schaffen, und anschließend würde ich versuchen, hier wegzukommen. Ich ging zurück zu dem Felsbrocken, an dem ich gestanden hatte, und warf eine Menge Sand und Erde auf das Blut, damit es wenigstens nicht mehr glänzte. Ich hatte nicht die Absicht, noch mehr Blut in diesen Wäldern zu verlieren. Mochten das andere tun. Ich ging zu der Stelle, wo der Mann gelegen hatte. Die Steine waren mit Blut bespritzt, und eine Lache stand dort, wo er das Blut erbrochen hatte. Ich sah zu den Bäumen hinüber und erinnerte mich an das wenige, was ich über die Hirschjagd wußte: wenn man den Hirsch mit dem Pfeil getroffen hat, soll man eine halbe Stunde lang warten und dann der blutigen Fährte folgen. Ich hatte keine Ahnung, wieviel Zeit seit meinem Schuß vergangen war, aber nach allem, was ich gesehen hatte, konnte der Mann höchstens ein paar Meter weit gekommen sein. Ich ließ mich auf Hände und Knie herunter und
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