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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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Bobby, er solle beim Kanu bleiben, und kletterte dann das Ufergeflecht hinauf zu der Straße, die über die Brücke führte. Es war ein schmaler, asphaltierter Highway, und einen halben Kilometer weiter erblickte ich eine Tankstelle mit zwei grellgelben Zapfsäulen. Vermutlich Shell. Ich stand da und fragte mich, wie ich mich noch bis dorthin schleppen sollte. Zugleich war ich darauf gefaßt, daß der Asphalt unter mir zu schmelzen und zu fließen beginnen würde. Es war verwirrend, festen Boden unter den Füßen zu haben, aber er blieb fest. Ich sah noch einmal zum Fluß hinunter. Er sah schön aus, und ich wußte jetzt, daß ich mein ganzes Leben lang, wo immer ich mich befand, stets seinen von Meile zu Meile wechselnden Sog spüren würde, das Gewicht und die Tiefe seiner Wasser, seine reißende Geschwindigkeit. All das war Teil meines Lebens geworden. Schwerfällig schwankte ich die Straße entlang. Die Wunde war verkrustet, und der Fetzen meiner Fliegerkombination, den ich mir um die Hüften gebunden hatte, klebte an ihr. Hätte ich ihn weggerissen, wäre ich ohnmächtig geworden. Ich preßte den Ellbogen darauf und beugte mich ein wenig zur Seite. Ich überquerte die kleine Brücke, die über den Kanal führte, und ging auf die Tankstelle zu, die sich in der Sonne zu entfernen schien und wie ein gelber Fleck vor meinen Augen flimmerte. Ich wankte auf sie zu. Die Wunde brannte, und es schien, als schwelle sie etwas an; es war, als trüge ich, in die Tuchfetzen gehüllt, ein Päckchen unter meinem Arm. Das Flußwasser an meinen Hosenbeinen war getrocknet, aber jetzt wurde das enge Nylonzeug wieder feucht vom Schweiß, und als ich an der Tankstelle ankam, zeichneten sich große dunkle Streifen darauf ab.
    Ein junger Bursche saß auf einem Hocker hinter der Tür, die mit einem Fliegengitter versehen war, auf dem es von Insekten wimmelte. Obwohl er mich hatte kommen sehen müssen, schien er seinen eigenen Augen nicht zu trauen. Er stand auf und öffnete die Tür.
    »Gibt es hier ein Telefon?« fragte ich.
    Er sah mich verständnislos an.
    »Ich brauche unbedingt einen Krankenwagen«, sagte ich. »Und die Highwaypolizei. Wir haben Verletzte, und einer ist tot.«
    Ich ließ ihn die Telefonate erledigen, denn ich hatte keine Ahnung, wo in aller Welt wir uns hier befanden.
    »Sagen Sie nur, daß wir auf dem Fluß verunglückt sind«, sagte ich. »Und sagen Sie, wo wir sind, aber man soll sich bitte beeilen. Ich glaube nicht, daß ich noch lange durchhalten kann, und einer von uns ist noch schlimmer verletzt.«
    Schließlich hängte er den Hörer wieder auf und sagte, es werde gleich jemand kommen. Ich setzte mich auf einen Stuhl, lehnte mich ganz zurück und rührte mich nicht. In Gedanken wiederholte ich meine Geschichte zum letzten – zum wichtigsten Mal. Aber hinter der Geschichte verbarg sich die wahre Geschichte, verbargen sich die Wälder und der Fluß und alles, was uns zugestoßen war. Ich mußte mich noch selbst mit dem Gedanken vertraut machen, daß ich in den letzten beiden Tagen drei Männer begraben und einen von ihnen getötet hatte. Ich hatte noch nie im Leben einen Toten gesehen von einem kurzen Blick auf den offenen Sarg meines Vaters abgesehen. Es war ein seltsamer Gedanke, ein Mörder zu sein, besonders jetzt, da ich hier auf diesem Stuhl saß, aber ich war zu geschwächt, um mir Sorgen zu machen, und ich machte mir keine Sorgen, außer daß ich befürchtete, Bobby könne sich vielleicht nicht mehr an alles erinnern, was ich ihm gesagt hatte. Ein oder zwei Autos fuhren vorbei, und ich wartete vergeblich darauf, daß sie anhielten. Die Wunde schmerzte, aber dumpf. Sie lag unter meinem Arm. Etwas, das ich mir selbst zugefügt hatte und mit dem ich leben konnte. Ich fragte mich, ob ich dem Arzt, der mich behandeln würde, erzählen sollte, daß ich mich mit meinem eigenen Pfeil verletzt hatte, oder ob ich sagen sollte, ich hätte mich am Kanu verletzt, als wir kenterten, denn immerhin waren wir von den Felsen im Fluß einige Male so übel durchgeschüttelt worden, daß der Metallrahmen verbogen und an einigen Stellen aufgerissen war und ich mich daran leicht hätte schneiden können. Ich entschloß mich für den Pfeil, denn es konnte immer noch etwas Farbe von ihm in der Wunde sein, und das Fleisch war von der messerscharfen Pfeilspitze glatt durchspießt worden. Von den zerfetzten Aluminiumteilen konnte das nicht herrühren. Mich erfüllte allmählich eine bleierne Schwere, so daß ich nicht mehr

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