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Flußfahrt

Flußfahrt

Titel: Flußfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Dickey
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zwei Meter hoch über dem Fluß hingen und dann hinabstürzten. Ich war schon auf den Aufprall gefaßt, mit dem der Fluß sich an uns rächen würde. Aber die Bootsnase setzte merkwürdig weich auf und glitt in die schäumenden Wasser am Fuß des Felsens. Ein Zittern ging durch das Kanu und durchlief meine Wirbelsäule bis in mein Gehirn. Ich spürte es wie glühende Nadeln. Und nach zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Stufen befanden wir uns wieder in einem normalen Flußbett. Ich lauschte auf meinen Schrei, der noch in der Wasserwolke über den blauweißen Fahnenfarben des Felsens hing – ich höre ihn noch heute –, und wir hatten es geschafft und glitten voran, auf grünem Wasser, lagen schwer und sicher darauf, und das Wasser lag schwer und sicher unter uns. Allmählich schwanden die Felsen im Flußbett; noch eine Biegung – ohne Stromschnellen – öffnete sich knapp hundert Meter vor uns.
    Ich sah Bobby an. Er lag immer noch hinter seinem Sitz, bemühte sich jedoch, wieder hinaufzukommen. Er drehte sich halb zu mir um und blinzelte mich an. Er wollte etwas sagen, tat es aber nicht, und ich wollte es auch und tat es ebensowenig. Jetzt, im ruhigen Wasser, versuchte ich, mich auf das zu konzentrieren, was für die Zukunft wichtig war.
    »Direkt da hinter uns ist es passiert, alles«, sagte ich.
    Er sah mich verständnislos an.
    »Man wird uns Fragen stellen. Du mußt sagen, daß Drew dahinten aus dem Boot gefallen ist, daß wir dort alle ins Wasser gefallen sind, daß sich Lewis dort das Bein gebrochen und wir dort das andere Kanu verloren haben.«
    »Okay«, sagte er ohne Überzeugung.
    »Schau dich um«, sagte ich. »Wir wollen uns über ein paar Anhaltspunkte einig werden. Wir müssen alles darauf anlegen, daß man Drew nicht weiter flußaufwärts sucht. Also präg dir alles ein, präg es dir ein.«
    Er blickte abwesend von einer Seite bis zur anderen, von einem Ufer zum anderen, aber ich wußte, daß er nichts aufnahm.
    »Siehst du den großen gelben Baum dort?« sagte ich. »Das ist die Hauptsache. Der Baum und die Stromschnellen und der große Felsen, über den wir hinweggeflogen sind. Das müssen wir uns merken, und mehr brauchen wir nicht.«
    Ich konzentrierte mich auf den Baum, sah ihn mir so genau an, wie es im Vorbeifahren nur möglich war, und ließ ihn alles übrige in meiner Erinnerung auslöschen, so daß nur noch sein Bild da war, tief und immer gegenwärtig. Er war halb abgestorben, und an einer Seite hatte sich die Rinde in einem seltsam gezackten Muster abgeschält. Er mußte früher einmal vom Blitz getroffen worden sein; das Feuer hatte ihm eine tiefe Wunde gerissen. Genau dieses Bild wollte ich vor mir haben, genauso – den ganzen Baum.
    »Hör zu, Bobby«, sagte ich. »Hör gut zu. Wir müssen alles richtig machen. Drew ist da hinter uns ertrunken. Ich werde sagen – ich werde es tatsächlich sagen –, daß man am besten hier nach ihm sucht, hier, wo wir jetzt sind. Von dort, wo er wirklich ist, kann er nie hierhergelangen. Es gibt keinen Weg am Fluß, der bis zu der Stelle führt, wo er ist, und keine Menschenseele wird ihn dort oben suchen, wenn wir keinen Verdacht erregen.«
    »Er liegt hier«, sagte Bobby und beschattete seine Augen mit der einen Hand, um sie vor der Sonne zu schützen. »Er liegt hier, genau unter uns. Das kann ich sagen. Ich kann es sagen. Okay?«
    Genau das wollte ich. Lewis sagte nichts; entweder war er bewußtlos, oder er hatte nicht mehr die Kraft zu antworten.
    »An der üblen Stelle hinter uns sind wir gekentert«, sagte ich. »Wir können ihnen sogar erzählen, daß wir genau in dem Gischt zwischen den Felsen umgekippt sind. Wir sind ins Wasser gefallen, und Drew ist ertrunken. Da unsere Uhren nicht mehr gehen, können wir nicht genau sagen, wann es war. Aber wir können sagen, wo es war. In der Nähe von diesem gelben Baum.«
    Bobby machte jetzt einen etwas wacheren Eindruck.
    »Unsere Geschichte ist ganz glaubwürdig«, sagte ich. »Wir müssen sie nur richtig vortragen. Außer uns ist keiner – keiner – übrig. Keiner hat etwas gesehen, keiner weiß etwas. Wenn wir uns nicht bei den Details widersprechen, geht alles in Ordnung. Dann sind wir endgültig aus der Sache heraus, und keiner wird uns behelligen – keine Untersuchungen, keine Polizei, nichts. Nichts außer uns.«
    »Das will ich hoffen.«
    »Ich auch. Aber – wie Lewis sagen würde – Hoffnung allein genügt nicht. Selbstbeherrschung, Baby. Wir dürfen kein unkontrolliertes Wort sagen,

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