Flusskrebse: Roman (German Edition)
nichts gesehen ... na, vielleicht irgendwas Kleines. Dann weiß ich schon, dass er was Großes erlegt hat.’ Und wenn die Männer dann hinausgehen, um die Beute zu holen, dann machen sie sich lustig: ‚Was? Willst du sagen, du hast uns hierher geschleppt, um diesen Haufen Knochen nach Hause zu tragen? Ah, wenn ich gewusst hätte, dass es so mager ist, wäre ich nicht gekommen. Mensch, wenn ich dran denke, dass ich einen schönen Tag im Schatten dafür aufgegeben habe! Zu Hause sind wir vielleicht hungrig, aber wir haben wenigstens schönes kühles Wasser zu trinken!’ Und das ist die Erklärung: ‚Wenn ein junger Mann viel Beute macht, dann bildet er sich vielleicht ein, er ist ein Häuptling oder ein Anführer, und er meint, wir anderen sind seine Diener und weniger wert als er. Das können wir nicht zulassen. Einen, der prahlt, den lehnen wir ab, denn eines Tages wird sein Stolz dazu führen, dass er jemanden umbringt. Deshalb sagen wir immer, dass seine Beute wertlos ist. So dämpfen wir seinen Übermut und machen ihn sanft.’“
„Diese Menschen fühlen sich also nicht von Natur aus als gleichwertig?“ fragte Juvénal.
„Genau das will der Autor zeigen. Sie müssen die Gleichheit immer wieder durchsetzen, sie machen egalitäre Politik. Bei unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, gibt es eine ausgeprägte Rangordnung. Das Alphamännchen beansprucht das beste Futter für sich und begattet die meisten Weibchen. Das ist eigentlich bei allen Primaten so, es muss also auch bei unseren direkten Vorfahren so gewesen sein.“
„Es hat also eine Revolution gegeben?“ knurrte Patrice. „Eine Revolution im Regenwald? Streiks und Demonstrationen: ‚Nieder mit den Alphamännchen!’?“
„Leider habe die Archäologen die Fahnen und Transparente noch nicht gefunden. Aber der Autor spricht tatsächlich von einer Revolution.“
„Und warum soll plötzlich eine Revolution ausbrechen, nach Millionen von Jahren?“ bohrte Patrice weiter.
„Vielleicht, weil aus Affen Menschen geworden sind“, gab Juvénal zu bedenken..
„Die ganze Lebensweise unserer Vorfahren hatte sich geändert. Schimpansen leben hauptsächlich von Pflanzennahrung: Früchte, Blätter, Schößlinge, Nüsse... Das sind kleine Häppchen, die ziemlich regelmäßig im Raum und in der Zeit verteilt sind. Unsere Vorfahren haben sich in schwierigere ökologische Nischen gewagt. Für sie ist Fleischnahrung wichtiger geworden. Am Anfang haben sie vermutlich noch gar nicht gejagt, sondern haben sich an der Beute von Raubtieren vergriffen. Sie haben vielleicht mit Geschrei und Steinen Löwen von einem Zebra weggejagt, das die gerissen hatten oder sie haben ein halbes Warzenschwein gefunden, das ein Leopard in die Zweige gehängt hat. Jedenfalls kommt Fleisch in großen, aber seltenen Brocken daher. Also wird eine Gruppe, die es schafft, das Fleisch zu teilen, sich wahrscheinlich besser entwickeln, als eine Gruppe, in der nur wenige etwas vom Fleisch bekommen. Es kommt aber – meiner Meinung nach – noch etwas dazu: Schimpansenmütter ziehen ihre Jungen alleine auf. Die frühen Menschen haben aber unter viel schwierigeren Bedingungen gelebt als Schimpansen. Darum war es für die Menschenmütter wichtig, dass auch die Väter etwas zur Ernährung der Jungen beitrugen. Schimpansenfrauen paaren sich bevorzugt mit dem stärksten und geschicktesten Männchen, eben dem Alphamännchen. Aber Menschenfrauen waren anscheinend besser dran, wenn jede einen Mann für sich hatte, der ihre Kinder mit versorgte. Menschen leben meistens in Paaren zusammen und ziehen ihre Kinder gemeinsam auf, so wie Meisen oder Amseln. Menschenfrauen sind ja im Gegensatz zu Schimpansen und zu allen anderen Säugetieren auch dann zur Paarung bereit, wenn sie gar nicht empfängnisbereit sind. Damit binden sie die Männer an sich. Nun wäre es für die Frauen freilich die erfolgreichste Fortpflanzungsstrategie gewesen, sich weiter vom Alphamann schwängern zu lassen und ihre Kinder von untergeordneten Männern versorgen zu lassen. Aber es ist einleuchtend, dass diejenigen Männer mehr Nachwuchs hatten, die da etwas dagegen hatten und die auf irgend eine Weise dafür gesorgt haben, dass sie nicht die Kinder des Alphamännchens aufzogen, sondern die eigenen. Die Entstehung der Paarbindung bei den Menschen muss zu dem Bündnis gegen die Alphamänner beigetragen haben.“
„Miheto”, sagte Patrice. Er kauerte auf einem Ziegelstein, über den Frau Zhao eine Decke gebreitet hatte,
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