Flut: Roman (German Edition)
wieder ins Haus hinein, um aus dem Blickfeld des unsichtbaren Schützen draußen zu kommen; Uschi duckte sich mit einem Schrei unter den Tisch und auch Darkov machte eine rasend schnelle Bewegung, die sie nur aus den Augenwinkeln wahrnahm; das Innere der Hütte schien plötzlich in einem optischen Orkan zu versinken, der ihre Sinne einfach überlastete, so dass sie nur noch ein Chaos aus reiner Bewegung wahrnahm, keine Einzelheiten mehr, und schon gar nicht in der Lage war, auf irgendetwas zu reagieren.
Es wäre ohnehin sinnlos gewesen. Alles ging viel zu schnell und nichts, was Benedikt oder Darkov taten, hätte irgendetwas am Ablauf der Geschehnisse ändern können. Was Rachel wie ein einziges kreischendes Chaos vorkam, war in Wirklichkeit eine minuziös geplante und durchgeführte Aktion, die mit der Unerbittlichkeit und Präzision einer gigantischen Maschine ablief und sie einfach überrollte.
Benedikt sprang mit weit vorgestreckten Armen über den Tisch und riss sie von den Füßen, aber er hatte sich verschätzt. Statt sich schützend über sie zu werfen, versetzte er ihr nur einen derben Stoß, der sie haltlos zur Seite und gegen den Kaminsims stolpern ließ. Bevor sie fiel und noch ehe sie den Boden berührte, segelte etwas Großes, Dunkles durch die offene Tür herein und prallte mit einem dumpfen Geräusch gegen den Tisch. Rachel sah noch, wie Benedikt schützend die Arme vor das Gesicht riss –
– und die Welt zerbarst in einem Chaos unerträglicher, grellweißer Helligkeit und einem so ungeheuerlichen Lärm, dass sie glaubte, ihre Trommelfelle müssten zerreißen.
Rachel krümmte sich auf dem Boden, schlug beide Hände gegen die Ohren und brüllte vor Schmerz, ohne ihre eigene Stimme auch nur zu hören. Die unerträgliche Helligkeit wich einen Sekundenbruchteil später ebenso absoluter Dunkelheit, aber dem grässlichen Lärm folgte keine Stille. Sie war auf der Stelle wie blind, aber in ihren Ohren war ein dumpfes Rauschen und Klingen und Heulen, wie die verzerrte Erinnerung an jedes einzelne Geräusch, das sie jemals in ihrem Leben gehört hatte.
Irgendwo tief in ihrem Bewusstsein war eine Ahnung dessen, was geschehen war: Der dunkle Gegenstand, der hereingeflogen war und Benedikt so sichtlich in Panik versetzt hatte, musste eine Blendgranate gewesen sein, wie sie Sondereinheiten der Polizei benutzten und die ihre Opfer mit Lärm und Licht lähmten, statt sie zu töten oder lebensgefährlich zu verletzen, aber dieses Wissen nutzte nichts und es machte es nicht besser. Jeder einzelne Nerv in ihrem Körper stand in Flammen. Ihre Augen waren blind, aber ihre Sehnerven hatten sich in zwei Bahnen aus weiß glühendem reinem Schmerz verwandelt, die die lodernde Qual direkt ins Zentrum ihres Gehirns pumpten. Sie würde nie wieder sehen können. Ihre Trommelfelle waren zerrissen, sie war taub und der Orkan aus Lärm und Licht hatte ihr Nervensystem getroffen wie ein Faustschlag und sie vollkommen paralysiert. Ihre Kehle schmerzte von ihren eigenen Schreien, ohne dass sie selbst sie hörte. Etwas traf schmerzhaft ihre Hüfte. Sie spürte, wie sie herumgedreht und unsanft über den Boden gezerrt wurde, aber sie war nicht einmal sicher, ob sie es war, der die Berührung galt.
Es war ihr vollkommen unmöglich zu sagen, wie viel Zeit verging. Vermutlich waren es nur Minuten, aber sie waren die pure Hölle. Irgendwann begannen die Schmerzen zu verebben und aus dem Kreischen und Heulen in ihren Ohren wurde ein dumpfes Rauschen, das allmählich in den Rhythmus ihres Pulsschlags überging. Sie konnte sogar wieder hören, aber alle Geräusche waren dumpf und verzerrt und so fremd, dass sie sie nicht identifizieren konnte. Doch es schien sich nicht um Kampfgeräusche zu handeln. Wenigstens das.
Hände griffen nach ihr, richteten sie auf und führten sie unsanft ein paar Schritte weit, bis sie einen Stuhl erreichte, auf den sie gedrückt wurde.
»Es ist gleich vorbei«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Noch ein paar Minuten. Es ist schlimm, aber es geht vorbei.«
Rachel hatte Mühe, die Worte zu verstehen. Das Rauschen in ihren Ohren ließ nicht nach und dazu gesellte sich jetzt noch ein schrilles Klingeln und Heulen. Sie erriet die Worte mehr, als sie sie wirklich verstand, machte aber trotzdem eine Bewegung, von der sie hoffte, dass sie wie ein Nicken aussah. Nach einer weiteren Sekunde öffnete sie vorsichtig die Augen. Das Ergebnis war ein heftiger Schmerz, wie zwei rot glühende Nadelspitzen, die sich tief in
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