Flut: Roman (German Edition)
Ihre Züge verhärteten sich noch weiter. »Jemand hat einen lästigen Zeugen beseitigt.«
»Sag so etwas nicht«, sagte Rachel erschrocken.
»Warum nicht? Weil es die Wahrheit ist? Ich sagte doch, ich kann an einen solchen Gott nicht glauben. Ich will es nicht. Ich glaube nicht, dass es ihn gibt. Und wenn, dann ist er nicht der, für den wir ihn gehalten haben.« Sie ballte die Hand zur Faust, wie um damit auf den Tisch zu schlagen, ließ die Bewegung aber dann unbeendet. »Schockiert dich die Vorstellung, dass Adrianus beseitigt wurde wie ein lästiger Zeuge, der ein paar Mafia-Geheimnisse zu viel kannte?«
»Hör auf, so zu reden«, flehte Rachel. »Bitte!«
»Warum?«, fragte Uschi. »Vor ein paar Stunden wurden fünf Millionen Menschen ausgelöscht, einfach so.« Sie schnippte mit den Fingern. »Um eine alte Prophezeiung zu erfüllen. Und du glaubst, da würde ein einzelnes Menschenleben eine Rolle spielen? Morgen früh werden es vielleicht fünftausend Millionen sein!«
Rachel schlug sich die Hände vor die Ohren. Sie wollte nicht mehr hören, was Uschi sagte, aber es nutzte nichts. Sie hatte die Worte gehört und sie begannen ihre Wirkung zu entfalten, schnell und so unaufhaltsam wie Krebs.
»Hör auf, bitte!«, flehte sie.
Uschi hörte auf, aber es war zu spät. Ihre Worte hatten alles geändert. Sie hatte die Wahrheit gewusst, natürlich, aber dennoch war das alles bisher nicht viel mehr als ein großes Abenteuer gewesen. Ein Abenteuer auf Leben und Tod, sicher, aber letztendlich etwas, das nur sie betraf, bei dem ihr eigenes Leben und sonst nichts auf dem Spiel stand, und aus irgendeinem Grund hatte sie es nie anders gesehen, nie anders sehen wollen. Was interessierte es sie, wenn die Welt unterging? Wenn sie starb, wenn ihr eigenes persönliches Universum erlosch, dann war sowieso alles vorbei. Für sie persönlich hörte die Welt auf zu existieren, wenn sie zu existieren aufhörte, wo also war der Unterschied?
Aber es gab einen. Es hatte ihn immer gegeben und Uschis Worte hatten ihr endgültig die Möglichkeit genommen, die Augen davor zu verschließen. Es gab einen.
Als Uschi weitersprach, wandte sie sich wieder an Darkov. »Sie haben gewonnen, Darkov. Ich komme freiwillig mit. Ich werde keinen Widerstand leisten und alles tun, was Sie von mir verlangen. Bringen Sie mich um, wenn Sie wollen, aber lassen Sie Rachel und die anderen in Frieden. Sie brauchen sie nicht.«
Darkov seufzte leise. »Wie ich schon einmal sagte: Um eine Freundin wie Sie kann man Rachel nur beneiden. Sie würden ohne zu zögern Ihr Leben für sie geben, habe ich Recht?« Er nickte, um seine eigene Frage zu beantworten. »Aber es steht zu viel auf dem Spiel.«
»Glauben Sie, dass ich – ?«
»Ich glaube Ihnen«, unterbrach sie Darkov. »Ich glaube Ihnen, dass Sie glauben, dass es so ist.«
»Woher sollte ich das alles sonst wissen?«, fragte Uschi zornig.
»Von Bruder Adrianus«, antwortete Darkov. »Aber wer sagt Ihnen, dass er die Wahrheit gesagt hat? Vielleicht hat er Sie belogen?«
»Warum sollte er das getan haben?«
Darkov hob die Schultern. »Um die Wahrheit zu verschleiern. Um Rachel oder eine der anderen zu schützen, was weiß ich, was in den Köpfen dieser verrückten Pfaffen vorgeht?« Er schüttelte erneut den Kopf. »Ich kann Ihnen nicht glauben. Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass weder Ihnen noch einer Ihrer Freundinnen auch nur ein Haar gekrümmt wird, zumindest nicht von mir und meinen Leuten. In spätestens vierundzwanzig Stunden sind Sie frei.«
»Aber ich sage die Wahrheit!«, beharrte Uschi. In ihrer Stimme war ein Unterton echter Verzweiflung. »Was … was kann ich denn tun, um Sie zu überzeugen?« Sie deutete mit einer hektischen Geste auf Benedikt. »Wenn diese verrückte Geschichte wirklich wahr ist, dann ist er mein Bruder! So etwas kann man doch feststellen. Mit einer Blutprobe oder …«
»... oder einer DNS-Analyse«, fügte Darkov milde hinzu. »Ich weiß. Aber leider haben wir hier weder die Gelegenheit dazu noch bleibt uns die nötige Zeit.«
Er stand auf, zog das Funkgerät aus der Tasche und drückte ärgerlich den Knopf. Rachel verstand nicht, was er sagte, denn er sprach jetzt russisch, aber sie konnte es sich zumindest denken. Er bekam keine Antwort und musterte das Walkie-Talkie einen Moment lang feindselig, doch bevor er noch einmal nach seinen Leuten rufen konnte, ging die Tür auf und zwei Männer in gefleckter Tarnkleidung betraten das Haus. Einer von ihnen war
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