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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sie wollen es nicht begreifen. Wenn Sie wirklich der selbsternannte Prophet sind, für den Sie sich ausgeben, dann sollten Sie eigentlich erkennen, dass ich die Wahrheit sage.«
    »Uschi, bitte«, sagte Rachel. »Ich weiß, was du vorhast, aber –«
    »Nein, verdammt noch mal, das weißt du nicht!« Uschi schrie jetzt. »Was glaubst du eigentlich, warum ich mich all die Jahre über hier in der Einsamkeit verkrochen habe? Weil ich verdammt noch mal wusste, wer ich bin! Weil ich Angst vor diesem Tag hatte und mir eingebildet habe, ich könnte mich vor dem Schicksal verstecken. Deshalb lebe ich hier draußen, aus keinem anderen Grund! Oder hast du wirklich geglaubt, dass ich dieses primitive Leben liebe? Meinst du, ich will nicht auch einmal einfach unter eine Dusche gehen? Abends den Fernseher einschalten, ins Kino gehen oder in ein gutes Restaurant? Hast du wirklich geglaubt, ich will so leben? Ganz bestimmt nicht!«
    Rachel war verunsichert und zutiefst verstört. Irgendetwas in ihr klammerte sich noch immer an die Erklärung, dass Uschi nur versuchte, sich für sie und die anderen zu opfern. Es konnte doch nicht sein, dass all die Jahre hier draußen, die unzähligen Nächte, die sie am Kamin gesessen und bis zum Morgengrauen diskutiert hatten, die endlosen Briefe, die sie sich geschrieben hatten, all die Verbitterung und Enttäuschung dem Leben gegenüber, dass all das gelogen gewesen war.
    Und doch … Wenn sie ehrlich war, hatte sie niemals wirklich begriffen, wieso eine lebenslustige junge Frau wie Uschi der Welt und den Menschen von einem Tag auf den anderen den Rücken zugedreht und sich in dieser Einöde verkrochen hatte, die zwar nur eine Autostunde von der Zivilisation entfernt war, dennoch aber schon kaum noch zu diesem Universum zu gehören schien. Uschi hatte ihr ihre Gründe erklärt und sie hatte sie auf einer rein verstandesmäßigen Ebene durchaus akzeptiert – aber wirklich begriffen hatte sie sie nie.
    »Ein netter Versuch«, sagte Darkov. »Aber selbst wenn ich Ihnen glauben wollte, meine Liebe: Niemand kannte die Identität des Mädchens, das damals in Ihre Stadt gebracht wurde. Der einzige Mensch, der wusste, welches der fünf Kinder das richtige ist, hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen.«
    »Ich weiß«, sagte Uschi ohne das mindeste Zögern. »Aber vorher hat er es mir gesagt.«
    »Wer?«, fragte Darkov scharf.
    »Bruder Adrianus«, antwortete Uschi.
    Ein Schlag ins Gesicht hätte Rachel kaum härter treffen können. Sie hörte für einen Moment auf zu atmen und starrte Uschi aus ungläubig aufgerissen Augen an.
    »Wie … bitte?«, stammelte sie.
    »Er war es, der mich damals in die Stadt gebracht hat«, bestätigte Uschi. »Genau wie dich, Tanja und die anderen. Er hat sämtliche Papiere vernichtet, die unsere wirkliche Identität beweisen könnten, und er hat auch den Familien, denen er die Kinder übergeben hat, nicht gesagt, wer wir wirklich sind. Er war der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der wusste, wer von uns die Auserwählte ist.«
    Der Ton, in dem sie das Wort Auserwählte aussprach, sagte mehr, als tausend Worte es gekonnt hätten. Im Grunde war er es, der Rachel beinahe davon überzeugte, dass sie die Wahrheit sprach. Aber eben nur fast.
    »Und er hat es dir erzählt?«, fragte sie zweifelnd. »Ausgerechnet dir?«
    »Vor fünf Jahren«, bestätigte Uschi.
    »Das … das ist lächerlich«, sagte Rachel. »Ich meine: Überleg doch mal, was du da sagst: Adrianus erzählt dir, dass du von Gott selbst auserwählt worden bist, die Menschheit zu retten, und kaum hat er es getan, da … da trittst du aus der Kirche aus, kehrst der gesamten menschlichen Rasse den Rücken zu und verkriechst dich in dieser Einöde? Das ist idiotisch!«
    »Das ist das Einzige, was ich tun konnte«, antwortete Uschi bitter. »Ich kann nicht an einen Gott glauben, der mit Menschenleben spielt und ganze Völker auslöscht, nur weil sie sich nicht nach seinen Regeln richten! Ich hätte mich selbst getötet, wenn ich den Mut dazu gehabt hätte. Aber ich hatte ihn nicht.«
    Das klang auf so grässliche Weise überzeugend, dass Rachel nicht mehr widersprechen konnte, obwohl sie verzweifelt nach Argumenten suchte – und sie gewiss auch gefunden hätte, wäre in ihren Gedanken nicht ein so heilloses Chaos gewesen und hätte Uschi sie nicht auf diese schrecklich entschlossene Weise angesehen.
    »Aber das bedeutet, dass … dass Adrianus' Tod …«
    »... kein Zufall war«, fiel ihr Uschi ins Wort.

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