Flut: Roman (German Edition)
diesen Kerl verdient hat.«
»Ja, ja, die Wege des Herrn sind manchmal sonderbar«, sagte Torben. »Aber er hat natürlich Recht. Ich muss noch etwas mit Ihnen besprechen.« Er zögerte, diesmal gerade lange genug, um Rachel zu beunruhigen.
»Ja?« Wieso hatte sie plötzlich schon wieder dieses ungute Gefühl?
Ein paar Sekunden lang blickte Torben schweigend und mit sehr nachdenklichem Ausdruck auf die schlafende Tanja herab; wenigstens glaubte Rachel das. Erst als er weitersprach, wurde ihr ihr Irrtum klar. »Gott hat seinen zweiten Sohn auf die Erde geschickt«, sagte er.
»Nun ja«, murmelte Rachel. Sie kam sich selbst ein bisschen komisch vor bei diesen Worten – was zum Teufel musste denn noch geschehen, um sie zu überzeugen? –, aber sie hatte einfach das Gefühl, sich diesen kleinen Einwand selbst schuldig zu sein; und sei es nur aus alter Gewohnheit. Auch sie gehörte anscheinend zu den Menschen, die sich nicht ganz so schnell zu ändern vermochten wie die Dinge ringsum. Wahrscheinlich wollte sie es gar nicht.
Papst Johannes Petrus II. schien ihre Gedanken und Gefühle in diesem Moment auch ziemlich genau zu erraten, denn er reagierte auf ihren Einwand nur mit einem flüchtigen Lächeln und fuhr dann, noch immer das Kind anblickend, fort: »Er wird jemanden brauchen, der auf ihn Acht gibt.«
»Er hat … Eltern«, sagte Rachel.
»Natürlich«, gab Torben zurück. »Ich wollte damit auch nicht sagen, dass sie vielleicht schlechte Eltern wären. Wie könnte ich? Aber es wird jemand da sein müssen, der ihn leitet.«
»Dazu bin ich ganz bestimmt nicht die Richtige!« Rachel erschrak fast selbst, als sie hörte, wie heftig sie widersprach, aber Torben reagierte auch jetzt nur mit einem sanften, verzeihenden Lächeln. Schnell, bevor er irgendetwas sagen konnte, dem sie vielleicht nichts mehr entgegenzusetzen vermochte, fuhr sie fort: »Wenn es jemanden gibt, der bewiesen hat, dass er der Richtige für eine solche Aufgabe ist, dann Sie.«
»Ihre Worte schmeicheln mir«, sagte Torben, »aber Sie wissen, dass es nicht wahr ist.«
»Doch nicht wegen dieser dummen Prophezeiung?«, empörte sich Rachel. Sie fühlte sich … hilflos. Hilflos und auf eine Art in die Enge getrieben, die es ihr nicht einmal möglich machte, wirklich zornig auf Torben zu sein. Dabei wusste sie ganz genau, worauf er hinauswollte. »Das ist doch Unsinn! Sie werden doch nicht Ihr Amt und die gesamte Kirche aufgeben, nur wegen einer uralten Prophezeiung! Das können Sie den Menschen nicht antun!«
»Ich werde bald nicht mehr da sein«, antwortete Torben, plötzlich mit großem Ernst. »Gleich wie es kommt – ich bin ein alter Mann, Rachel, und er ist ein Kind, ein Neugeborener. Wenn seine Zeit gekommen ist, werde ich nicht mehr da sein oder zumindest so alt und schwach, dass ich nicht mehr in der Lage sein werde, über ihn zu wachen.«
Rachel sah ihn sehr ernst an. »Ist Ihnen klar, was Sie da von mir verlangen?«
»O ja«, antwortete Torben.
»Und Ihnen ist auch klar, dass Sie von mir dasselbe verlangen, weshalb Pjotr Darkov Sie ein Leben lang bekämpft hat.«
»Du hast nichts zu befürchten«, sagte Torben, aber Rachel schüttelte nur den Kopf.
»Das weiß ich. Aber ich glaube, ich will das nicht.« Sie machte eine Handbewegung, um ihm das Wort abzuschneiden. »Es ist nicht so, dass ich Angst vor der Verantwortung hätte. (Was eine glatte Lüge war. Sie starb innerlich vor Angst bei dem bloßen Gedanken an das, was er von ihr verlangte.) Aber wissen Sie, auch wenn ich Darkovs Methoden verurteile – so ganz Unrecht hatte er nicht.«
»Ich weiß«, sagte Torben zu ihrer Überraschung. »Ich hatte viel Zeit, um nachzudenken. Wir waren beide jung damals und beide dumm. Vielleicht wäre alles anders gekommen, hätten wir nur einmal den Mut gehabt, miteinander zu reden in all den Jahren, statt uns zu bekämpfen.«
»Aber ich –«
»Ich verlange nicht, dass du mir irgendetwas versprichst oder auch nur dir selbst«, fuhr Torben rasch fort. »Ich bitte dich nur, für dieses Kind dasselbe zu tun, was du für seine Mutter getan hast. Beschütze es.«
»Vor einem neuen Dämon?«, fragte Rachel.
»Nein«, antwortete Torben. »Satans Macht ist gebrochen. Wir haben ihn besiegt und er wird keine weiteren seiner Diener schicken können, für lange, sehr lange Zeit.«
»Wovor soll ich ihn dann beschützen?«
»Vor den Menschen«, antwortete Torben. »Und das ist vielleicht schwerer.«
Von draußen klangen Schritte herein.
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