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Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und irgendetwas tat, von dem Rachel lieber nicht wissen wollte, was es war. »Wie geht es ihr?«, fragte er.
    Rachel hob die Schultern. »Ich hoffe, gut. Sie wird es überleben, denke ich. Und Sie?«
    »Ich auch«, erwiderte Darkov. Mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: »Ich bin anscheinend der Verlierer dieser Geschichte. Nicht einmal einen vernünftigen Heldentod hat man mir gegönnt.«
    Rachel blieb ernst. Auch wenn sie nicht wirklich Vater und Sohn waren, so waren sich Benedikt und Pjotr Darkov doch unglaublich ähnlich, nicht äußerlich, aber in ihrer Art. Sie musste Acht geben, dass ihr Darkov nicht sympathischer wurde, als gut war. Ganz egal, was er gerade getan hatte, er war immer noch ein vielfacher Mörder und international gesuchter Terrorist.
    Umso überraschter war sie, als sie sich selbst fragen hörte: »Warum fliehen Sie nicht? Es ist niemand mehr da, der Sie aufhalten könnte. Und es besteht kein Grund mehr, uns etwas anzutun. Sie haben Ihr Ziel erreicht.«
    »O ja, ich habe gewonnen«, sagte Darkov spöttisch. »Ich meine: Das Oberhaupt der katholischen Kirche selbst bringt gerade das Kind zur Welt, nicht wahr? Was sollte ich mir mehr wünschen? Und fliehen?« Er lachte hart. »Wohin denn? Und wozu?«
    Rachel sah aus dem Fenster und wusste, was er meinte. Der Meteor leuchtete mittlerweile mit der Intensität eines Scheinwerfers zu ihnen herein und er stand schon so tief, dass er den Horizont zu berühren schien. In wenigen Minuten würde er ihn berühren und wiederum wenige Minuten darauf würde eine Wasserwand, die so hart war wie Diamant, mit Überschallgeschwindigkeit über dieses Haus hinwegrasen und alles von hier bis zu den Alpen, was sich ihr in den Weg stellte, zertrümmern. Darkov hatte Recht. Wozu sollte er fliehen?
    Tanja schrie plötzlich gellend auf und Torben richtete sich mit einem Ruck auf und rief. »Kommen Sie her! Es ist da! Schnell!«
    Sie sprangen alle drei in die Höhe und eilten um das Bett herum. Frank schlug mit einem hörbaren Stöhnen die Augen auf, sah, was geschah, und fiel sofort wieder in Ohnmacht, und Tanja ließ sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung zurücksinken und schloss die Augen.
    »Ein Junge!«, rief Torben aufgeregt. »Seht nur, es ist ein Junge!«
    Hatte er etwa daran gezweifelt?
    Rachel war mit einem Schritt neben ihm. Torben hielt das Kind in den Armen und es war ein Junge, ganz wie er gesagt hatte, klein, fast ein bisschen zu mager, wenigstens für Rachels Geschmack, und noch voller Schleim und Blut, die in einem sonderbaren Muster über seine Haut verteilt waren und ihm für den Moment fast etwas Reptilienhaftes zu geben schienen. Überhaupt war es kein sehr hübsches Kind, fand Rachel. Es hatte streichholzlanges, fast pechschwarzes Haar, das ein wenig wie Draht anmutete, obwohl es noch nass an seinem Kopf klebte, seine Glieder waren zu dünn und zu schlank und sein Gesicht war so runzlig und zerknittert wie das eines Achtzigjährigen.
    Und doch …
    Irgendetwas war an diesem Kind. Etwas, das unsichtbar und uralt und mindestens so machtvoll und gewaltig war wie das, was sie vorhin gespürt hatte, aber im Gegensatz dazu von unendlicher Liebe und Sanftmut erfüllt; ein Gefühl, das so intensiv und gewaltig war, dass sie sich mit aller Kraft beherrschen musste, um das Kind nicht Torben aus den Armen zu reißen und an sich zu pressen.
    »Wieso schreit es nicht?«, fragte Benedikt nervös. »Ich meine: Müsste es nicht schreien oder strampeln oder so etwas?«
    »Wahrscheinlich spart es sich die Mühe«, sagte Darkov bitter. Er deutete zum Fenster. »Seht!«
    Rachels Blick folgte der Geste und ihr Atem stockte.
    Der Meteor hatte den Horizont berührt. Sein unheimliches, bleiches Licht überstrahlte mittlerweile das gesamte Firmament und das ferne Meer reflektierte und verstärkte es noch zusätzlich, als werfe der weiß glühende Feuerball, der gleich darin erstrahlen würde, bereits seinen brodelnden Schatten aus der Zukunft in die zum Untergang verdammte Gegenwart.
    »Nein«, flüsterte Rachel. »Das darf nicht sein! So grausam kann Gott nicht sein!«
    »Das ist er auch nicht«, sagte Torben ruhig.
    Das Kind hustete, bewegte sich unwillig in seinen Armen und begann zu weinen. Dann hob es die Lider.
    Und im gleichen Moment, in dem der neue Messias zum ersten Mal die Augen aufschlug, erlosch am Horizont das bleiche Licht des Todessterns.

Epilog
    Torben zog das Ende der Decke über Uschis zerstörtes Gesicht, strich es mit der linken Hand

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