Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flut: Roman (German Edition)

Flut: Roman (German Edition)

Titel: Flut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Traktoren und dann und wann von einem Jogger genutzt wurde und nach fünfhundert Metern in die Hauptstraße mündete. Wenn sie es bis dorthin schaffte, dann war sie gerettet. Vielleicht.
    Rachel schlitterte ungeschickt, aber sehr schnell die Böschung hinab, fiel an deren Fuß auf beide Knie und nutzte den Schwung ihres eigenen Sturzes, um wieder in die Höhe zu kommen und weiterzurennen. Auch der Weg auf dieser Seite war unter der braunen Soße verschwunden, zu der sich das Feld verwandelt hatte, aber sie wusste, wo er war, und musste nur in zwei Meter Abstand parallel zur Böschung bleiben, um auf einigermaßen sicherem Grund zu sein. Fünfhundert Meter waren nicht so weit.
    Sie hatte zwei Drittel dieser Distanz zurückgelegt, als eine Gestalt in glänzendem, nassem Schwarz über der Böschung vor ihr erschien. Wenigstens wusste sie jetzt, wo der andere Verfolger geblieben war. Rachel kam mit zwei, drei ungeschickt stolpernden Schritten zum Stehen. Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie dabei zusah, wie der Mann mit ausgebreiteten Armen den Hang herunterbalancierte und mit beneidenswertem Geschick in der Mitte des Weges zum Stehen kam. Sein rechter Arm deutete lang ausgestreckt in ihre Richtung. Orangerotes Feuer und Rauch – aber der tödliche Schlag, auf den sie wartete, kam nicht. Stattdessen spritzte der Schlamm unmittelbar zwischen ihren Füßen auseinander. So präzise, dass ihre großen Zehen und die Stelle, an der die Kugel einschlug, ein exaktes gleichschenkeliges Dreieck bildeten. Rachel starrte die Stelle wie betäubt an. Es war kein Fehlschuss gewesen, sondern eine Warnung, die deutlicher nicht sein konnte. Ganz langsam hob sie die Arme und wich gleichzeitig zwei Schritte zurück. Aus. Es war vorbei. Der Mann war keine zehn Meter von ihr entfernt und er hatte gerade bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Schütze war.
    Sie machte einen weiteren, stolpernden Schritt und blieb abrupt stehen, als der Fremde drohend mit seiner Waffe wedelte. Immerhin hatte er bis jetzt darauf verzichtet, sie zu erschießen. Vielleicht wollte er sie aus irgendeinem Grund lebend einfangen. Vielleicht wollte er den Moment auch nur noch ein wenig hinauszögern, um sich an der Furcht in ihrem Blick zu weiden. Aber wenigstens lebte sie noch. Und vielleicht würde sie sogar noch weiterleben.
    Hinter dem Fremden war ein grell aufgeblendetes Scheinwerferpaar aufgetaucht. Strömender Regen und Gegenlicht machten es fast unmöglich, den dazu gehörigen Umriss zu erkennen, aber er erschien ihr nicht massig genug für den schweren Volvo ihrer Verfolger. Dann sah sie ihn doch. Es war ein schäbiger hellblauer, kleiner Opel, dessen durchdrehende Räder alle Mühe hatten, den Wagen in der Spur zu halten, so dass er wie ein Boot auf stürmischer See wild hin und her schwankte; ein wenig zu weit, und er würde vom Weg abkommen und hoffnungslos im Schlamm stecken bleiben. Rachel machte einen weiteren Schritt zurück. Der Mann vor ihr wedelte ärgerlich mit seiner Pistole, einer klobigen Waffe, die – wie sie nun erkannte – mit einem übergroß erscheinenden Schalldämpfer ausgestattet war, und sie blieb mit übertrieben pantomimisch gespieltem Schrecken wieder stehen. »Nicht schießen!«, rief sie. »Bitte, erschießen Sie mich nicht! Ich, ich tue alles, was … was Sie von mir verlangen!«
    Sie zwang sich, die Waffe anzustarren. Sein Gesicht, alles, nur nicht den Wagen hinter ihm, der mit quälender Langsamkeit näher kam. Ihre Entscheidung hatte nichts mit irgendwelchen Vernunftgründen zu tun – sie wusste so wenig, wer in dem blauen Opel saß, wie sie irgendetwas über die Beweggründe der Männer in Schwarz wusste –, aber sie spürte einfach, dass ihr von ihm keine Gefahr drohte. Es war der schiere Wahnsinn, ihr Leben auf diese Entscheidung zu setzen, aber schließlich war die ganze Situation vollkommen und total wahnwitzig – was also hatte sie zu verlieren?
    Der Fremde machte einen Schritt in ihre Richtung und blieb wieder stehen. Die Pistole zielte unverwandt und ohne das geringste Zittern auf ihre Stirn, aber auf seinem Gesicht war ein misstrauischer Ausdruck erschienen. Vielleicht hatte sie sich doch irgendwie verraten? Der Wagen war mittlerweile auf zehn oder zwölf Meter herangekommen und sie war vollkommen sicher, ausschließlich seine Hände und die Waffe angestarrt zu haben, die auf sie zielte. Und dennoch: Etwas erschien für den Bruchteil eines Augenblicks auf dem Gesicht des Mannes, ein Ausdruck des

Weitere Kostenlose Bücher