Flut: Roman (German Edition)
Böschung hinaufzurennen. Diesmal gelang es ihr immerhin, sich halb zu drehen, sodass sie nur mit der Schulter aufprallte, was ebenfalls wehtat, aber nicht annähernd so schlimm wie gerade. Dafür schlitterte sie ein gutes Stück des Weges wieder zurück, den sie sich gerade so mühsam hinaufgekämpft hatte, und befand sich nun beinahe wieder am Fuße der Böschung.
Hinter ihr stürmte ihr Verfolger aus dem Wald. Sein Gesicht war blutüberströmt und verzerrt vor Wut, und der bloße Anblick versetzte Rachel einen regelrechten Schub neuer Kraft. Aus Schaden klug geworden, versuchte sie kein drittes Mal aufzustehen, sondern ignorierte den pochenden Schmerz in ihren Handgelenken und kroch auf Händen und Füßen und mit zusammengebissenen Zähnen los.
Es ging besser, als sie erwartet hatte, wenn auch natürlich erbärmlich langsam, verglichen mit dem Tempo, das ihr Verfolger vorlegte. Mit einem einzigen Satz überwand er die Entfernung zwischen dem Waldrand und der Böschung, war mit dem zweiten beinahe neben ihr und schlug der Länge nach hin, als seine Schuhsohlen auf dem schlüpfrigen Gras noch viel weniger Halt fanden als Rachels nackte Füße zuvor. Er prallte sehr schwer auf, wie Rachel mit grimmiger Befriedigung registrierte, aber er reagierte trotzdem mit erschreckender Schnelligkeit: Sein rechter Arm geriet irgendwie unter seinen Körper und Rachel hoffte inständig, dass er ihn sich brach, aber seine andere Hand streckte sich blitzschnell nach ihrem Knöchel aus und umklammerte ihn. Rachel wurde mit einem brutalen Ruck aus dem Gleichgewicht gerissen und schlitterte wieder ein Stück weit die Böschung hinab. Ihr Instinkt wollte sie dazu bringen, die Hände in den Boden zu krallen und sich mit aller Kraft festzuklammern, aber diesmal war ihr Verstand stärker: Statt Widerstand zu leisten, drehte sie sich blitzschnell auf den Rücken und stieß mit dem freien Fuß ins Gesicht des Verfolgers. Sie traf und wurde mit einem schmerzerfüllten Grunzen belohnt, womit sich die Wirkung ihres Angriffs allerdings auch schon erschöpfte.
Aber der Kerl war dumm genug, den Helden spielen zu wollen. Statt ihr Bein loszulassen und sein dann schon sicheres Opfer auf eine andere Weise zu überwältigen, zerrte er sie mit einem wütenden Ruck weiter zu sich herab und gab Rachel auf diese Weise Gelegenheit, einen zweiten und ungleich härteren Tritt zu platzieren.
Die Wirkung war verheerend: Rachel konnte hören, wie irgendetwas unter ihrer Ferse zerbrach. Blut spritzte, der Mann stieß einen schrillen Schmerzensschrei aus und ließ endlich ihr Bein los. Rachel warf sich mit einer verzweifelten Bewegung herum und robbte los, bis sie vollkommen sicher war, nicht mehr in seiner Reichweite zu sein, dann erhob sie sich auf Hände und Knie und kroch auf diese Weise das letzte Stück nach oben. Erst dort angekommen, richtete sie sich wieder auf und drehte sich herum.
Der Mann, der sie verfolgt hatte, hockte fünf Meter unter ihr auf den Knien und presste beide Hände gegen die untere Hälfte seines Gesichts. Hellrotes Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor und tropfte an seinen Handgelenken entlang zu Boden, eine ganze Menge Blut. Sie hatte ihn ziemlich übel erwischt, aber wo war der andere? Rachel drehte sich halb im Kreis und suchte den Waldrand mit Blicken ab. Von dem Mann, der auf sie geschossen hatte, war nichts zu sehen, aber das beruhigte sie kein bisschen; ganz im Gegenteil. Er war nur ein paar Schritte hinter dem anderen gewesen und hätte längst auftauchen müssen. Hier zu warten, bis vielleicht genau das geschah oder sie eine vielleicht noch bösere Überraschung erlebte, erschien ihr allerdings auch keine sonderlich gute Idee.
Rachel drehte sich auf dem Absatz herum und überquerte den vielleicht zwölf Meter breiten, künstlich aufgeschütteten Damm so schnell sie konnte, ohne wirklich zu rennen. Das wäre völlig unmöglich gewesen. Der Regen hatte auch hier oben seine Spuren hinterlassen und Sand und das lose Erdreich bis auf den letzten Krümel weggewaschen; auf ihre nackten Füße wartete eine Folterstrecke aus scharfkantigem Basalt und spitzen Steinen. Als sie sie überquert hatte, bluteten ihre Fußsohlen aus einem halben Dutzend mehr oder weniger tiefer Risse und Schnittwunden und jeder Schritt war eine Qual. Trotzdem schöpfte sie zum ersten Mal wirkliche Hoffnung, diesen verrückten Albtraum irgendwie lebend zu überstehen. Auf der anderen Seite der Trasse lag nur ein schmaler Wirtschaftsweg, der von
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