Flut
er sich nur noch, dass es vorbei ist.
Nach dem Ritual wartet er, bis Lama Palden ihr Gespräch mit dem kurzhaarigen Mädchen über den buddhistischen Hausschmuck, der im Tempel verkauft werden soll, beendet hat, um ihr endlich die Frage zu stellen, die ihn hergeführt hat. Er will wissen, wie die Buddhisten von Reinkarnation sprechen können, wenn ihre Philosophie doch das Loslassen von der Idee eines die Zeit überdauernden Ichs predigt. Denn sollte jemand reinkarnieren, Verzeihung, wiedergeborenwerden, dann müsse ja etwas von dem, was er war, später wieder erscheinen, sonst ergebe es ja keinen Sinn, den Begriff zu verwenden. Bonobo hatte gesagt, das sei so nicht ganz richtig, es seien ja nicht Wesen, sondern Bewusstseinszustände, die wiedergeboren würden, und dass die Sache von da an ehrlich gesagt ziemlich kompliziert und schwer zu erklären sei. Er allerdings sieht keinen Unterschied zwischen einer Seelenwanderung und dem Wiederaufleben eines Bewusstseinszustands, der dann einem Verstorbenen zugeordnet wird, als würde etwas von ihm weiter existieren. Er findet nicht die richtigen Worte, und ihm ist klar, dass sich seine Frage stetig dem Punkt völliger Zusammenhangslosigkeit nähert, aber Lama Palden hört ihm aufmerksam zu, bis er irgendwann nicht mehr kann. Ihre Antwort beschränkt sich auf die Feststellung, allein die Meditation führe zur Gewissheit der Existenz von Karma und Wiedergeburt. Der Weg zur Erleuchtung sei ein Training des Bewusstseins, vergleichbar mit körperlichem Training. Sie sagt, die buddhistische Lehre sei nur durch die Praxis erfahrbar und ließe sich aus der rationalen, dualistischen Sicht der westlichen Welt nicht verstehen. Weiterhin weist sie darauf hin, dass die Erleuchtung den Kreislauf der Wiedergeburt beende, und fragt dann, ob er sonst noch etwas wissen wolle. Er sieht sie an, als leuchte ihm das alles ein, bedankt sich mehrfach und verabschiedet sich. Sie ermuntert ihn nochmal, auf jeden Fall weiter zu den Übungen zu kommen, immer sonntags um neun.
Leopoldo ist einverstanden, kurz bei Bonobo in der Pension vorbeizufahren, der auf dem Computer am Empfang mit aufgedrehter Lautstärke Pornos sieht und sie grölend empfängt.
Käpt’n Ahab! Leopoldo Beefsteak!
Ich hab dir schon mal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst. Ich mag das nicht.
Na gut, Leopoldo Beefsteak.
Mann, du bist echt blöd, Bonobo.
Ich beschwer mich doch auch nicht, wenn ihr mich Bonobo nennt.
Du magst das ja auch. Das ist was anderes. Ich denk mir mal einen schönen Spitznamen für dich aus.
In Porto Alegre haben sie mich immer Affe, Ebola oder Samtschwanz genannt. Sucht euch einen aus. Aber sag mal, Schwimmer, hast du mit der Lama gesprochen?
Ja, wir kommen gerade aus dem Tempel.
Cool. Wartet mal kurz, in einer Viertelstunde checkt eine Familie aus Curitiba aus, danach machen wir uns ein paar Pizzas. Nehmt euch ein Bier aus dem Kühlschrank.
Die drei sitzen den ganzen Nachmittag lang in Bonobos Café und essen und trinken. Obwohl er so riesig ist, wird Leopoldo schnell betrunken und fängt an, sich über den Auftritt des Neulings bei seiner ersten Sitzung lustig zu machen. Bonobo hört sich alles mit Kopfschütteln an.
Mensch, Schwimmer, du bist vielleicht ’ne Marke. Musstest du bei der Lama gleich mit der Tür ins Haus fallen mit deiner Wiedergeburtsnummer?
Wieso, das beschäftigt mich nun mal.
Und was hat sie geantwortet?
Dass ich so lange meditieren soll, bis ich es verstanden hab.
Leopoldo lacht.
Ich hab’s dir gesagt, Bonobo, am besten, man fängt gar nicht erst damit an.
Alter, du bist ja völlig besessen von dieser Geschichte. Leg mal ’ne andere Platte auf. Warum ist es so wichtig für dich, ob so was wie Wiedergeburt existiert?
Ich muss dringend wissen, dass Wiedergeburt nicht existiert. Alles andere scheint mir völlig richtig, aber dieses Detail macht alles kaputt.
Hör mal, Schwimmer. Die Frage der Wiedergeburt ist im ursprünglichen Buddhismus gar nicht so wichtig. In Tibet war jede Menge schwarze Magie am Start, bevor der Buddhismus dort per Fallschirm gelandet ist, und ein Teil davon isteben hängengeblieben. Aber es ist eben nicht so wie bei der spiritistischen Wiedergeburt. Wenn man begriffen hat, dass der Mensch nur eine dynamische Ansammlung von Bewusstseinszuständen ist, ergibt die Vorstellung von der Reinkarnation einer Seele keinen Sinn mehr. Das, was wiedergeboren wird, sind, grob gesagt, damit du es verstehst, diese Bewusstseinszustände, die bis zu
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